Worth reading!
Literaturempfehlung von Prof. Dr. Anna Kosmützky:
Die Stunde der Wahrheit? Zum Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien in der Wissensgesellschaft.
Weingart, P. (2011). Die Stunde der Wahrheit? Zum Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien in der Wissensgesellschaft. Weilerswist: Velbrück.
In seinem Buch analysiert Peter Weingart die wissenschaftliche Wissensproduktion in der Wissensgesellschaft und stellt dabei das Verhältnis von Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien als Kernmerkmal der wissenschaftlichen Wissensproduktion ins Zentrum. Sein Gesellschaftsverständnis ist differenzierungstheoretisch (eine undogmatische Anwendung der Systemtheorie) und betrachtet die drei gesellschaftlichen Sphären als funktional differenzierte Systeme. Empirisch bilden darauf aufbauend zwei gleichzeitige und paradoxe Prozesse den Kern von Weingarts Diagnose: die „Politisierung“, „Kommerzialisierung“ und „Medialisierung“ der Wissenschaft und eine „Verwissenschaftlichung“ von Politik, Wirtschaft und Medien. Die Folge ist ein zunehmender Verlust der Distanz und die engere Verzahnung zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und den Medien, jedoch nicht eine vollständige Verwischung der Grenzen (wie im Mode-2 oder Tripple Helix Model). Obwohl bereits an die 20 Jahre alt, hat die Analyse ihre Aktualität und ihren Erklärungsertrag nicht verloren. Nur das Kapitel zur Medialisierung benötigt Updates, denn die Rolle von Digitalisierungsprozessen ist noch nicht berücksichtigt. Besonders interessant ist das Buch, da es gleichzeitig die Makrostrukturen der Wissensgesellschaft beleuchtet und anhand zahlreicher Fallstudien die Motive und Strategien der Akteure analysiert, die über die Grenzen der Systeme hinweg agieren und so dazu beitragen, dass sich deren Interdependenzen erhöhen.
Literaturempfehlungen von Prof. Dr. Uwe Wilkesmann:
Are universities specific organizations?
Musselin, C. (2007). Are universities specific organizations? In G. Krücken, A. Kosmützky und M. Torka (Hrsg.) Towards a Multiversity? Universities between Global Trends and national Traditions. Bielefeld: transcript, S. 63 - 84.
Christine Musselins Aufsatz gehört sicherlich zu den am häufigsten zitierten Publikationen in der Hochschulforschung. Ihr Beitrag wird immer dann erwähnt, wenn ein Publikationsbeleg für die organisationale Einordnung von Hochschulen benötigt wird. Zwei wichtige Statements sind schon im Titel ausgedrückt, wenn er auch noch mit einem Fragezeichen versehen ist. Zum einen sind Hochschulen Organisationen und zum anderen handelt es sich um einen speziellen Typus von Organisationen. Universitäten unterscheiden sich nach Musselin von anderen Organisationstypen durch zwei Charakteristika: Die akademischen Aufgaben in einer Universität sind nur lose gekoppelt und Forschung sowie Lehre sind unklare Technologien. Die erste Annahme basiert auf Weicks Konzept der losen Kopplung. Die einzelnen Mitglieder der Organisation Universität müssen nicht wissen, wie die anderen Mitglieder handeln (z. B. was sie forschen oder lehren), um selbst ihre mitgliedschaftstypischen Handlungen ausführen zu können (was sie selbst forschen und lehren). Die zweite Annahme basiert auf Scotts Organisationstheorie. Mit Technologie wird hier ein Organisationsprozess beschrieben, der festlegt, wie ein Input in ein Output transformiert wird. Forschung und Lehre sind in diesem Sinne unklare Technologien, da Wissenschaftler kaum beschreiben können, was sie wirklich tun, wenn sie erfolgreich lehren oder forschen. Universitäten sind somit Organisationen (und nicht Institutionen), die sich aber von Unternehmen oder Vereinen differenzieren.
On the way towards New Public Management? The governance of university systems in England, the Netherlands, Austria, and Germany
de Boer, H., Enders, J, & U. Schimank (2007): On the way towards New Public Management? The governance of university systems in England, the Netherlands, Austria, and Germany. In D. Jansen (Hrsg.) New forms of governance in research organizations. Disciplinary approaches, interfaces and integration. Dordrecht: Springer, S. 137-154.
Einen ‚Klassiker’ zum Thema New Public Management (NPM) im Hochschulsystem stellt dieser Aufsatz dar. Der hier entwickelte Governance-Equalizer hat die Forschung zum internationalen Vergleich der Verbreitung des NPM in einzelnen Hochschulsystemen geprägt. Obwohl die im Equalizer gewählte Skalierung eher metaphorisch als im strengen Sinne reliabel zu bezeichnen ist, hat die analytische Differenzierung in fünf verschiedene Dimensionen die NPM-Forschung nachhaltig beeinflusst. Folgende Differenzierung wurde eingeführt: Als staatliche Regulation wurde die Dimension bezeichnet, die den direkten steuernden Eingriff des Staates über Finanzierungsformen und rechtliche Regulierungen erfasst. Die akademische Selbststeuerung beschreibt die Möglichkeit der akademischen Selbstverwaltung. Die Außensteuerung bezeichnet die neuen Formen von externer Einflussnahme über Akkreditierung und Hochschulräte, die jenseits direkter staatlicher Kontrolle vollzogen werden. Die manageriale Selbststeuerung charakterisiert die Hierarchisierung der Hochschule und Formen professionellen Managements. Auf die Organisation Hochschule hat aber auch die Dimension des künstlich initiierten Wettbewerbs über Exzellenzinitiativen und interne Mittelverteilung großen Einfluss. So ist ein Analyseraster geschaffen worden, das den internationalen Vergleich von Hochschulsystemen langfristig geformt hat.
Literaturempfehlungen von Prof. Dr. Marion Weissenberger-Eibl:
Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen
Thomas S. Kuhn (1967): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt/M., Suhrkamp.
Mit seinem 1962 erschienenen Werk „The Structure of Scientific Revolutions“ beschreibt Thomas S. Kuhn ein Phasenmodell für die Wissenschaftsentwicklung. Nach dem sogenannten „SSR“, das zu den grundlegenden Werken der Wissenschaftsphilosophie gehört, basiert die normale Wissenschaft zunächst auf gängigen Paradigmen in deren Rahmen abgeleitete Fragestellungen gelöst werden. Im Prozess der Erkenntnisgewinnung treten dann Anomalien auf, die sich mit dem Paradigma nicht im Einklang bringen lassen. Dies führt schließlich soweit, dass neue grundlegende Paradigmen formuliert werden, die zu wissenschaftlichen Revolutionen führen. Hier möchte ich insbesondere den Begriff der Inkommensurabilität hervorheben, der auf die Eigenständigkeit und eingeschränkte Vergleichbarkeit von Paradigmen hinweist.
Structural holes. The Social Structure of Competition
Ronald S. Burt (1992): Structural holes. The Social Structure of Competition. First Harvard University Press paperback edition, 1995.
Structural holes bezeichnen nicht-bestehende Austauschbeziehungen zwischen zwei Akteuren beziehungsweise Akteursnetzen. Ronald S. Burt beschreibt in seinem 1992 erschienenen, Buch „Structural holes. The Social Structure of Competition“, welche Auswirkungen es auf soziale Netzwerke hat, wenn entsprechende Lücken geschlossen werden. Der vernetzende Akteur kann entscheidenden Mehrwert für die betreffenden sozialen Cluster erzeugen. Den Wert von Burts Werk sehe ich darin, dass die Netzwerkbildung nicht als zufälliges Zustandekommen von Verbindungen betrachtet wird. Vielmehr bewertet er systematisch die Effizienz und Effektivität von Netzwerkarbeit. Burt fokussiert zwar auf das Marktgeschehen. Grundsätzlich halte ich es allerdings für sinnvoll, sich mit den dargestellten Hürden für die Netzwerkbildung auch hinsichtlich der wissenschaftlichen Erkenntnisgenerierung zu befassen.
Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv
Fleck, Ludwig (1980): Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache: Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Frankfurt/M., Suhrkamp.
Bereits 1935 erschien Ludwik Flecks „Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache“. Als Werk eines polnischen Juden wurde es zunächst ignoriert und fand erst Ende des 20. Jahrhunderts gebührende Beachtung. In seinem wissenschaftsphilosophischen Werk arbeitet Fleck heraus, dass wissenschaftliches Arbeiten grundsätzlich als kollektiver Vorgang zu verstehen ist, zu dem sehr diverse Kompetenzen beitragen. Außerdem betont er, dass fachgebietsspezifische, kulturelle und sogar religiöse Denkstile die Basis für die Formulierung wissenschaftlicher Tatsachen darstellen. Wissenschaftliche Denkkollektive ebenso wie Denkstile weisen eine systematische Beharrungstendenz auf. Aus meiner Sicht ist es essenziell, sich über diese nach wie vor vorherrschenden Gegebenheiten im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess klar zu werden, insbesondere vor dem Hintergrund immer wichtiger werdender inter- und transdisziplinärer Herangehensweisen.
Literaturempfehlungen von Prof. Dr. Peer Pasternack:
Wissenschaft als Beruf
Weber, Max (1919): Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München: Duncker & Humblot.
Mit seinem Vortrag „Wissenschaft als Beruf“ hat sich Max Weber für einen kurzen Augenblick in den Status eines „Gelegenheitshochschulforschers“ (Ulrich Teichler) begeben, und das Ergebnis hat eine erstaunliche Rezeptionskarriere hingelegt. Jenseits der Verkürzungen, die die Rezeption auch transportierte, lassen sich vier zentrale Themen identifizieren: (1) die Berufssituation des Wissenschaftlers im Zusammenhang mit Organisationsfragen der Hochschule, (2) individuelle Bedingungen, Sinn und Motive wissenschaftlicher Arbeit, (3) Werturteilsfreiheit der Wissenschaft sowie (4) die Leistungen wissenschaftlicher Bildung. Hier nur kurz zum Letzten: Weber fragt, was nun eigentlich die Wissenschaft Positives für das praktische und persönliche Leben derjenigen, die sich ihr studierend aussetzen, leiste. Erste Aufgabe sei es, die Studenten zu lehren, unbequeme Tatsachen anzuerkennen, auch solche, die für die je eigene Meinung unbequem sind. Sodann könnten Kenntnisse vermittelt werden über die Technik, „wie man das Leben, die äußeren Dinge sowohl wie das Handeln der Menschen, durch Berechnung beherrscht“, d.h. Methoden des Denkens, das Handwerkszeug und die Schulung dazu. Dadurch werde es möglich, die nötigen Mittel zu wählen, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Schließlich: Der akademische Unterricht sei in der Lage, zu Klarheit zu verhelfen – „Vorausgesetzt natürlich, daß wir sie selbst besitzen.“ So könnten die akademischen Lehrer „den einzelnen nötigen, oder wenigstens ihm dabei helfen, sich selbst Rechenschaft zu geben über den letzten Sinn seines eigenen Tuns.“
Auch online hier abrufbar.
Werke in fünf Bänden. Band IV: Schriften zur Politik und zum Bildungswesen
Wilhelm von Humboldt (1964): Werke in fünf Bänden. Hrsg. von Andreas Flitner u. Klaus Giel. Band 4: Schriften zur Politik und zum Bildungswesen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Wilhelm von Humboldt hatte die Universität als eine staatlich unterhaltene staatsferne Veranstaltung konzipiert: Der Hochschulbetrieb solle von staatlichen Forderungen und Auflagen einengender Art freigehalten werden. Die Universitäten erfüllten dann in verantwortlicher Selbststeuerung auch die staatlichen Zwecke, allerdings mit Mitteln, die der Staat aus eigenem Vermögen nicht hervorbringen könne. Den Gedanke allgemeiner Menschenbildung hat er in die Idee der Persönlichkeitsentwicklung durch Wissenschaft übersetzt. Die Formel „Einheit von Forschung und Lehre“ findet sich zwar in Humboldts Schriften selbst so nicht, aber es lässt sich extrapolieren, dass Lehre aus Forschung gespeist sein solle und dass Studierende und Lehrende ein gemeinsamer Dienst an der Wissenschaft eine. Wissenschaft wird als Forschungsprozess begriffen, als etwas „noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes“. Schließlich die Zweckfreiheit der Wissenschaft: Die Universitäten müssten ein „ungezwungenes und absichtsloses Zusammenwirken hervorbringen“. – Zwischenzeitlich war „Humboldt“ zum „Humboldtianismus“ (Olaf Bartz) geworden. Dabei wurden einige Missverständnisse erzeugt: Auch Humboldt wollte niemals komplette Absolventenjahrgänge in eine Tätigkeit als Forscher nötigen, sondern vor allem für Tätigkeiten als preußischer Staatsbeamter, als Richter, Lehrer an höheren Schulen, Arzt oder Pfarrer zurüsten. Humboldt hat keine Universität konzipiert, deren ‚Absichtslosigkeit‘, d.h. Entlastetsein von unmittelbaren Zwecken, unnütz sein soll: Der Vorteil, der von Staats wegen der Universität eingeräumt werde, müsse sich „dann auch im Resultat ausweisen“. Tatsächlich hat sich ‚Humboldt‘ in ganz anderer Weise erledigt, als von manchen angenommen wird: Nicht die Humboldtschen Universitätsideen sind zu verabschieden, sondern deren (damals notwendigerweise) elitistische Begrenzung auf wenige.
Schule und Universität. Philosophie, Geschichte und Politik
Beyer, M., Rhein, S. & Wartenberg, G. (Hrsg.) (1997): Melanchthon deutsch. Bd. 1: Schule und Universität. Philosophie, Geschichte und Politik. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.
Nicht an alles kann eine nachaufklärerische Hochschulforschung so recht anknüpfen, was Philipp
Melanchthon im 16. Jahrhundert über Universitäten geschrieben hat. Die Universität solle den Studenten helfen, „den verborgenen Grund ihrer selbst und ihrer Welt zu erkennen: Gott“. Doch jenseits dessen frappiert manches in seiner zeitübergreifenden Geltung. 1536 nahm er Humboldts staatstheoretische Einordnung des Universitätswesens vorweg: „Je besser der Zustand ist, in dem sich ein Staatswesen befindet, desto großzügiger verhält es sich gegenüber denen, die den Künsten und Wissenschaften nacheifern“, ermögliche es ihnen Muße, indem es „uns von niedrigen Arbeiten freistellt, damit wir uns ganz unseren heiligen Pflichten widmen können“. Sein „Lob der Beredsamkeit“ (1523) könnte man im heutigen Verständnis als hochschuldidaktischen Text qualifizieren. In der jüngeren Vergangenheit seien alle Wissenschaften von der Art zu reden verdunkelt gewesen, so „daß nicht einmal die Professoren selbst mit hinreichender Klarheit wußten, was sie lehrten“. Dagegen setzte Melanchthon eine fest umrissene Methodik des Redens, wodurch die Studierenden einen beachtlichen Zuwachs an Urteilskraft erführen. In Gutachten (Third Mission!) formulierte er höchst konkrete Empfehlungen: einen gemeinsamen Fonds für alle Einkünfte der Universität, aus dem „die Gehälter nicht für die Müßiggänger, sondern für die [tatsächlich] Lehrenden“ zu zahlen seien, staatliche Stipendien für arme Theologiestudenten, „weil die wohlhabenderen sich anderen Wissenschaften widmen“, die Einführung von Disputationen statt nur Vorlesungen, schließlich detaillierte curriculare Vorschläge. Also in heutigen Begriffen, so man mag: Globalhaushalt und leistungsorientierte Mittelverteilung, BAFöG, shift from teaching to learning, Modularisierung. 500 Jahre alt und derart Anlass für Demut in der heutigen Hochschulforschung – daher lesenswert.
Literaturempfehlungen von Prof. Dr. Uwe Schmidt:
Hochschulen – Fragestellungen, Ergebnisse und Perspektiven der sozialwissenschaftlichen Hochschulforschung
Hüther, O., & Krücken, G. (2016): Hochschulen – Fragestellungen, Ergebnisse und Perspektiven der sozialwissenschaftlichen Hochschulforschung. Wiesbaden: Springer VS.
Einen Überblick zu Ansätzen und empirischen Ergebnissen der Hochschulforschung zu geben, erscheint in Anbetracht der Fülle von historischen und aktuellen Themen, unterschiedlichen theoretischen Rückbindungen und disziplinären Verortungen zumindest ein mutiges Unterfangen. Otto Hüther und Georg Krücken stellen sich dieser Aufgabe und es gelingt ihnen, eine Einführung in die Hochschulforschung zu geben, die sich sowohl Fragen der Hochschule als Organisation und deren Governance, empirischen Analysen zu Studienverläufen und wissenschaftlichen Karrieren als auch der Historie von Hochschulen widmen. Hierbei müssen selbstredend Konzessionen an die Fülle des Materials gemacht werden, doch wem an einem Überblick zu zentralen Themen und Ansätzen der Hochschulforschung gelegen ist, findet hier eine gelungene Lektüre.
The American University
Parsons, T., & Platt, G. M. (1973). The American University. Cambridge: Harvard University Press.
Talcott Parsons Arbeiten sind zuweilen nicht sehr zugänglich geschrieben. Seine Arbeiten sind von einem komplexen Blick auf Gesellschaft und einer gleichzeitigen Orientierung an Praxis geprägt. In diesem Sinne ist auch sein gemeinsam mit Gerald M. Platt verfasstes Werk zur amerikanischen Universität zu verstehen, das zugleich eine systematische Situationsanalyse als auch die Entwicklung eines theoretischen Bezugsmodells anstrebt. Insbesondere die Überlegungen zur gesellschaftlichen Differenzierung und zum sogenannten AGIL-Modell stellen hierbei eine lohnenswerte Lektüre dar, da sie einen umfassenden theoretischen Rahmen für die Betrachtung von Hochschulen und Wissenschaftssystem bieten.
Literaturempfehlungen von Prof. Dr. Georg Krücken:
The Credential Society
Collins, R. (1979). The Credential Society. An Historical Sociology of Education and Stratification. New York: Wiley.
Ich mag Texte, nach deren Lektüre man die Welt mit anderen Augen sieht. Dieses Buch ist ein solches Beispiel. Das Verhältnis von Hochschulexpansion und gesellschaftlicher Entwicklung wird im Unterschied zu den üblichen Erklärungen nicht funktional gedeutet. Vielmehr resultiert die Hochschulexpansion aus der immer stärker auf formal zertifizierte Abschlüsse setzenden ‚credential society‘, die einen Wettlauf um Hochschulabschlüsse erzeugt. Die Inhalte der Hochschulbildung sind demgegenüber eher zweitrangig. Dieser provozierenden These muss man nicht folgen, aber sie regt zum Denken an. Collins schrieb sein Buch 1979 und hatte vor allem das US-amerikanische Hochschulsystem im Blick. Was würde man angesichts der gegenwärtigen massiven Hochschulexpansion in Deutschland hierzu sagen?
The Higher Education System
Clark, B. R. (1983). The Higher Education System. Academic Organization in Cross-National Perspective. Berkeley, CA: University of California Press.
Hochschulforschung ist aus guten Gründen stark durch den nationalen Kontext geprägt. Umso wichtiger ist es, sich mit der Unterschiedlichkeit nationaler Hochschulsysteme zu beschäftigen. Das Buch von Clark ist hier ein bis heute unerreichter Meilenstein, denn es verbindet auf einzigartige Weise theoretisch-konzeptionelle Abstraktion mit detaillierter empirischer Beobachtung. Die Dezentrierung der eigenen Perspektive, die sich bei der Lektüre einstellt, macht das Buch immer wieder lesenswert. Heutzutage muss man sich aber über Clark hinaus sicherlich noch sehr viel stärker mit der Frage der Durchlässigkeit nationaler Systeme beschäftigen. Kann man angesichts von globalen Rankings, zunehmender Kooperation in Forschung und Lehre sowie Mobilität und Migration noch so von unterschiedlichen nationalen Systemen sprechen, wie es Clark getan hat?
Laboratory Life: The Social Construction of Scientific Facts
Latour, B. & Woolgar, S. (1979). Laboratory Life: The Social Construction of Scientific Facts. Beverly Hills: Sage Publ.
Dieses Buch war methodisch und theoretisch-konzeptionell zu seiner Zeit höchst innovativ. Es begründete gemeinsam mit dem zwei Jahre später erschienenen Buch „The Manufacture of Knowledge“ von Karin Knorr-Cetina, das 1984 auch auf Deutsch erschien, den ethnographischen Laborstudienansatz in der Wissenschaftsforschung. Das Buch von Latour und Woolgar ist aus unterschiedlichen Gründen eine Neulektüre wert. Ein Grund besteht für mich aktuell darin zu überlegen, worin heute die methodischen Innovationen bestehen. Lassen sich zum Beispiel im Umgang mit ‚big data‘ ähnlich aufregend neue Studien durchführen?
Falsifikation und die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme
Lakatos, I. (1982). Falsifikation und die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme. In J. Worrall & G. Currie (Eds.) Philosophische Schriften, Bd. 1. Die Methodologie der wissenschaftlichen Forschungsprogramme. Braunschweig/Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 7 - 107.
Wissenschaftstheorie ist ein wichtiger Bestandteil der Wissenschaftsforschung. Die grundlegenden Fragen der Wissenschaftstheorie sind jedoch für jedwede wissenschaftliche Tätigkeit von Bedeutung. Der Text von Lakatos zu wissenschaftlichen Forschungsprogrammen ist besonders erhellend, da er ein ebenso holistisches wie in sich sehr differenziertes Verständnis von Theorie entwickelt. Sich mit diesem Text zu beschäftigen ist keine intellektuelle Fingerübung. Hierüber lernt man, sich mit den Möglichkeiten und Grenzen des Wissens auseinanderzusetzen, um so in den Dialog mit anderen zu treten. Das Theorieverständnis von Lakatos lässt sich auf ganz unterschiedliche Wissensgebiete übertragen. Was bedeutet es für die Wissenschafts- und Hochschulforschung?
Literaturempfehlung von Prof. Dr. Anke Hanft:
Organization and Governance in Higher Education
Brown et al. (Hrsg.) (2010). Organization and Governance in Higher Education. 6th edition. London: Pearson Learning Solutions.
Starken Einfluss auf die Hochschulforschung haben einige immer wieder zitierte Klassiker der soziologischen Organisationsforschung. Mintzberg, Weick, Cohen, March und Olsen zählen zu den wichtigsten Vertretern, die das Handeln von Experten in kulturstarken „professionellen Bürokratien“ theoriegeleitet erklären. Ihre aufschlussreichen Analysen finden sich, neben vielen anderen, im mehr als 1000seitigen (!), von Brown et. al in der sechsten Auflage 2010 herausgegebenen Reader „Organization and Governance in Higher Education“. Auch wenn Studierende an diesem Mammutwerk verzweifeln („unlesbar“) und sich das Buch schon wegen seines Gewichts für das entspannte Lesen auf dem Sofa kaum eignet, zählt es für mich zu den Standardwerken der Hochschulforschung und hat seinen festen Platz auf meinem Schreibtisch.
Literaturempfehlungen von Prof. Dr. Philipp Pohlenz:
Was ist Universität?
Horst, J.-C., Kagerer, J., Karl, R. u.a. (Hrsg.) (2010). Unbedingte Universitäten: Was ist Universität? Texte und Positionen zu einer Idee. Zürich: Diaphanes.
Aus der Reihe „Unbedingte Universitäten“ (herausgegeben von Johanna-Charlotte Horst, Johannes Kagerer, Regina Karl u.a.) finde ich den Band „Was ist Universität? – Texte und Positionen zu einer Idee“ erwähnenswert, weil er verschiedene Positionen zur gesellschaftlichen, politischen, moralischen Bedeutung von Hochschulen und Universitäten aus den Perspektiven der Bezugsdisziplinen der Hochschulforschung rezipiert. Diese setzen sich in Teilen kritisch mit gegenwärtigen Entwicklungen im Hochschulbildungsbereich auseinander und haben in anderen Teilen die Funktion, Diskurse, auf die sich die gegenwärtige Debatte vielfach bezieht noch einmal im Original zu Wort kommen zu lassen, so etwa Schleiermacher und W.v. Humboldt. Erschienen ist das Buch 2010 im Diaphanes Verlag in Zürich.
Grundbegriffe des Hochschulmanagements
Hanft, A. (Hrsg.) (2001). Grundbegriffe des Hochschulmanagements. Neuwied: Luchterhand.
Eher praktische Relevanz hat das Handbuch „Grundbegriffe des Hochschulmanagements“, herausgegeben von Anke Hanft (2001, Neuwied: Luchterhand; mittlerweile Universitätsverlag Webler in Bielefeld). In ihm werden in kurzen Artikeln von A (Akkreditierung) bis Z (Zielvereinbarungen) die im Hochschulmanagement eingesetzten und von angehenden, wie gestandenen HochschulmanagerInnen benötigten Tools und Prozesse einführend beschrieben. Das Buch ist ein ideales Nachschlagewerk mit nach wie vor bestehender Relevanz, auch wenn im Hochschulmanagement – und gerade in den genannten Qualitätsmanagementverfahren – enorme Dynamik besteht.
Literaturempfehlungen von Prof. Dr. Gabi Reinmann:
Hochschuldidaktik als Theorie der Bildung und Ausbildung
Huber, L. (1983): Hochschuldidaktik als Theorie der Bildung und Ausbildung. In L. Huber (Ed.), Enzyklopädie Erziehungswissenschaft: Vol. 10. Ausbildung und Sozialisation in der Hochschule (pp. 114-138). Stuttgart: Klett-Cotta.
In der neueren Hochschuldidaktik gilt dieser Handbuchartikel von Ludwig Huber als einer der zentralen Referenztexte, mit der er eine an vielen Stellen immer noch aktuelle Beschreibung des Fachs geliefert hat. Im Text zeichnet Huber einerseits die wichtigsten Stationen der Entstehung der Hochschuldidaktik nach und unternimmt andererseits den Versuch einer systematischen Bestimmung derselben.
Klassiker beinhalten in der Regel länger überdauernde Erkenntnisse und geben einer (Sub-)Disziplin eine prägende Struktur und/oder einen entscheidenden Impuls, an den man immer wieder anknüpft. Meiner Einschätzung nach ist das bei Hubers Text der Fall. Seine historische Skizze macht die Genese der Hochschuldidaktik und die bis heute bestehenden Schwierigkeiten ihrer wissenschaftlichen Verortung verständlich. Seine inhaltliche Bestimmung umfasst Vorschläge, die in ähnlicher Form immer wieder reproduziert oder leicht abgewandelt werden.
Entwicklung und Potenziale der Hochschuldidaktik
Wildt, J. (2013). Entwicklung und Potenziale der Hochschuldidaktik. In M. Heiner & J. Wildt (Eds.), Professionalisierung der Lehre. Blickpunkt Hochschuldidaktik. Bielefeld: Bertelsmann.
Wildts Text aus dem Jahr 2013 liefert in Ergänzung zu Hubers Beitrag aus dem Jahr 1983 einen guten Überblick über die Geschichte und den heutigen Stand der Hochschuldidaktik. In der Darstellung der aktuellen Situation der Hochschuldidaktik wählt Wildt einen Standpunkt, dem sich auch weniger optimistische Einschätzungen gegenüberstellen ließen. Nach wie vor nämlich mangelt es an hochschuldidaktischen Professuren; die Gefahr einer Marginalisierung der Hochschuldidaktik und ihrer Reduktion auf bloße Serviceleistungen ohne Forschung ist bis heute nicht gebannt. Trotzdem hat Wildt natürlich, so meine Einschätzung, recht mit seiner Beobachtung, dass das hochschuldidaktische Feld wieder lebendiger und bunter geworden ist und damit auch die Chancen gestiegen sind, die Hochschuldidaktik als Wissenschaft und Handlungspraxis voran zu bringen.
Literaturempfehlung von Prof. Dr. Isabell Welpe:
Evidenzbasierte Governance von Organisationen in Forschung und Lehre – Erwartungen an die Wissenschafts- und Hochschulforschung
Prenzel, M. & Lange, S. (2017): Evidenzbasierte Governance von Organisationen in Forschung und Lehre – Erwartungen an die Wissenschafts- und Hochschulforschung. Keynote beim Symposium “Governance, Performance and Leadership of Research and Public Organizations”, München, 15./16. Juli 2015. Beiträge zur Hochschulforschung, 1/2017.
Der Beitrag löste unter Wissenschafts- und Hochschulforschenden in Deutschland eine rege und fruchtbare Diskussion zur Gegenwart und Zukunft des Forschungsfelds aus. Die aufgezeigten Erwartungen an die empirische Wissenschafts- und Hochschulforschung setzen Maßstäbe und wichtige Impulse für die zukünftige Ausrichtung und Weiterentwicklung des Feldes in Deutschland, auch im Hinblick auf eine evidenzbasierte Politik- und Organisationsberatung. Die einzelnen in dem Artikel aufgezeigten Handlungsfelder werden derzeit von Wissenschafts- und Hochschulforschenden aktiv aufgegriffen und die identifizierten Veränderungsbedarfe angegangen. Daher sehe ich diesen Artikel als transformativen Beitrag für das Forschungsfeld, der – obwohl jüngeren Datums – bereits jetzt als „Klassiker“ gelten kann.