Wir brauchen einen stärkeren wissenschaftlichen Diskurs der Community

Michael Hölscher folgte 2015 dem Ruf einer Professur für Hochschul- und Wissenschaftsmanagement der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Der Lehrstuhl untersucht aus einer primär soziologischen, aber interdisziplinär geöffneten Perspektive, wie das Hochschul- und Wissenschaftssystem durch den gesellschaftlichen Kontext geprägt wird und welchen Einfluss es im Gegenzug auf die Gesellschaft hat.

WiHo-Redaktion: Welche inhaltlichen Schwerpunkte zeichnet Ihre Lehre aus?
Hölscher: In meiner Lehre geht es vor allem um die Einbettung des Wissenschaftssystems, seiner Organisationen und seiner Mitglieder in die gesellschaftlichen Kontexte. Hierzu greife ich auf verschiedene soziologische Theorien zurück; zudem vermittle ich Methodenkompetenz und behandle die Strukturen des Wissenschaftssystems im internationalen Vergleich. All dies ermöglicht es Studierenden, aktuelle Prozesse und Reformen richtig einzuordnen, unerwünschte Nebeneffekte zu erkennen und diese, wenn möglich, in der Praxis zu vermeiden.

WiHo-Redaktion: Wie hoch ist der Praxisbezug im Studiengang Wissenschaftsmanagement?
Hölscher: Durch die sehr gute Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Wissenschaftsmanagement (ZWM) und seinen hervorragenden Kontakten in die verschiedenen Ebenen und Sektoren des Wissenschaftssystems werden die neuesten Praxisprobleme an mich herangetragen. Durch die Teilnahme an wichtigen nationalen und internationalen Tagungen und generell durch das Gespräch mit Fachkolleginnen und –kollegen sowie durch den engen Austausch mit den berufsbegleitend Studierenden des Studiengangs ergibt sich ein direkter Abgleich von neuester Forschung, aktueller Lehre und den Bedürfnissen der Praxis.

WiHo-Redaktion: Wie würden Sie das Profil Ihrer Professur mit Blick auf die Forschung beschreiben?
Hölscher: Die Hochschulforschung ist momentan ein sehr dynamisches Feld. Mit der Professur in Speyer soll hier auf Grundlage soziologischer Theorien eine methodisch anspruchsvolle Forschung etabliert werden. Dabei werden die verschiedenen Ebenen, die Makro-Ebene (nationale Hochschulsysteme im Vergleich), die Meso-Ebene (Organisationen) und die Mikro-Ebene (Studierende, Forschende und Administration) sowie ihr Zusammenspiel untersucht. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf eher weichen Themen wie Kultur und Innovation.

WiHo-Redaktion: Können Sie ein Beispiel nennen? Was ist derzeit Ihr zentrales Forschungsprojekt und welchen gesellschaftlichen Bezug hat es?
Hölscher: Das aktuell wichtigste Forschungsprojekt beschäftigt sich momentan mit den sogenannten Spielarten des Kapitalismus und ihren Auswirkungen auf das nationale Hochschulsystem. Es geht um die Frage, wie sich bestimmte Angleichungsprozesse entwickeln und welche Auswirkungen diese auf das Zusammenspiel von Universitäten und der sie umgebenden Gesellschaft haben. Die Beantwortung dieser Frage ist enorm wichtig für die aktuellen Diskussionen zu Hochschulreformen und Hochschulpolitik.

WiHo-Redaktion: Zum Status quo der WiHo-Forschung in Deutschland: Welche positiven Entwicklungen gibt es? Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?
Hölscher: Die WiHo-Forschung hat in Deutschland in den letzten Jahren enorm an Dynamik gewonnen. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an guten, vor allem jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die zum Thema forschen und interessante Einzelbefunde produzieren, auch wenn dies im internationalen Vergleich noch ausbaufähig ist. Was zum Teil noch fehlt, ist eine stärker institutionalisierte Struktur, die helfen würde, die Einzelbefunde in einen größeren Zusammenhang zu stellen und gleichzeitig zu einer Professionalisierung sowohl im theoretischen als auch im methodischen Bereich des gesamten Feldes beizutragen. Es bedarf also noch stärker eines integrierten wissenschaftlichen Diskurses der Community. Verschiedene größere Forschungsverbünde, u. a. zur Generierung belastbarer quantitativer und qualitativer Daten, wären hier ausgesprochen hilfreich.

WiHo-Redaktion: Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Themen der kommenden Jahre in der WiHo-Forschung?
Hölscher: Die Hochschulforschung ist breit aufgestellt und wird es auch in den kommenden Jahren bleiben. Die Internationalisierung und die Digitalisierung bleiben sicherlich weiterhin zentrale Herausforderungen für die Hochschulen. In Deutschland werden zudem durch den Anstieg der Studierendenquote die Lehre und die Fragen der Differenzierung des Hochschulsystems noch stärker in den Fokus geraten. Zudem glaube ich, dass es Zeit wird, generellere Fragen der Governance, etwa im Spannungsfeld von organisationalem Wettbewerb und Kooperation mit all ihren intendierten und nicht-intendierten Folgen noch stärker in den Blick zu nehmen, weil sie die Grundlagen der Wissenschaft berühren.