Methodologie ohne Empirie ist wie Kochen ohne Zutaten
Anna Kosmützky hat zu Beginn des Jahres 2018 die Professur für „Methodologie der Hochschul- und Wissenschaftsforschung“ am Leibniz Forschungszentrum für Wissenschaft und Gesellschaft (LCSS) der Universität Hannover angetreten. Die Aufgabe der Professur besteht darin, die Veränderungsprozesse von Hochschule und Wissenschaft empirisch erfassbar zu machen, so dass deren gesellschaftliche Dynamik sozialwissenschaftlich repräsentiert werden kann.
WiHo-Redaktion: Wie würden Sie das Profil Ihrer Professur mit Blick auf die Forschung beschreiben? Haben Sie eine Art Leitperspektive, an der Sie sich orientieren?
Anna Kosmützky: Das Profil meiner Professur ist darauf ausgerichtet, die theoretisch-analytischen und methodologisch-konzeptionellen Grundlagen der Wissenschafts- und Hochschulforschung zu untersuchen und Vorschläge für innovative, interdisziplinäre, empirische Analysen zu machen. Mein Verständnis von Methodologie ist dabei, dass sie als Meta-Reflexion der forschungsfeldspezifischen Kriterien, Strategien und Vorgehensweisen, den Forschungsprozess in allen Phasen umfasst – das heißt vom Forschungsdesign, über die Datenerhebung und -analyse bis hin zur Auswertung und Verbreitung. Meine Methodologie-Forschung ist zudem immer auch empirisch. Zum einen analysiere ich empirisch die im Forschungsfeld verbreiteten „Spielregeln“ und Praktiken. Diese Art der Empirie dient auch dazu, möglicherweise veränderungsbedürftige implizite „Spielregeln“ und Praktiken sichtbar zu machen und – wo angemessen – Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Zum anderen betreibe ich selbst empirische Hochschul- und Wissenschaftsforschung zu unterschiedlichen Themen. Alles andere wäre wie „Kochen ohne Zutaten“.
WiHo-Redaktion: Worin sehen Sie Ihre Forschungsschwerpunkte für die nächsten 5 Jahre?
Anna Kosmützky: Ich habe mir vorgenommen in den kommenden fünf Jahren zu vier Themenfeldern zu forschen: Allen voran zur Methodologie vergleichender Forschung – und zwar mit besonderem Fokus auf die international vergleichende Hochschul- und Wissenschaftsforschung, denn globale und international vergleichende Perspektiven sind mir sehr wichtig. Aber auch mit Blick auf intersektorale, interdisziplinäre und historische Vergleiche, ist das Forschungsvorhaben spannend. Zu beidem habe ich sowohl Meta-Studien als auch empirische Projekte geplant. Eines dreht sich beispielsweise um Wettbewerbsprozesse und das „Branding“ von Universitäten und Unternehmen in Deutschland und den USA. Darüber hinaus werde ich meine Forschung zu Formen kollaborativer Forschung in Teams fortführen. Dabei geht es um den Zusammenhang von Kollaborationspraxis, epistemischen Spezifika und Projekterfolgen von Teams, und zwar in unterschiedlichen Disziplinen. Perspektivisch ist auf meiner Forschungsagenda auch, mich mit dem Thema Big Data zu beschäftigen. Hier interessiert mich vor allem, wie sich organisational und digital erzeugte Daten für innovative, methodologisch robuste, methodisch anspruchsvolle und forschungsethisch konforme Analysen nutzen lassen.
WiHo-Redaktion: Wie würden Sie das Profil Ihrer Professur mit Blick auf die Lehre beschreiben?
Anna Kosmützky: Im Fokus meiner Lehre stehen Projekte der interdisziplinären empirischen Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Auf Masterniveau im MA „Wissenschaft und Gesellschaft“ beispielsweise in Form eines Projektstudiums, in dem die Studierenden ihre eigenen Forschungsprojekte planen, durchführen und präsentieren. Für Promovierende in der Graduiertenschule „Wissenschaft und Gesellschaft“ in Form einer Forschungs- und Methodenwerkstatt, in der gemeinsam Material aus den laufenden Arbeiten und Dissertationsprojekten analysiert und diskutiert wird. Darüber hinaus gehören aber auch Einführungs- und Überblicksseminare zur institutionellen und organisationalen Struktur des Hochschul- und Wissenschaftssystems zum Lehrprofil. Bei diesen Einführungen geht es auch immer um Reformversuche und allgemeine gesellschaftliche Wandlungsprozesse und es werden internationale Ausblicke unternommen.
WiHo-Redaktion: Was ist Ihnen in der universitären Lehre ganz besonders wichtig?
Anna Kosmützky: Besonders wichtig ist mir, dass interessierte und neugierige Studierende auf eine gut vorbereitete und engagierte Lehrende treffen.
WiHo-Redaktion: Zum Status Quo der WiHo-Forschung in Deutschland: Worin ist sie gut? Was fehlt ihr noch?
Anna Kosmützky: Die empirische Hochschul- und Wissenschaftsforschung hat sich meiner Ansicht nach in den letzten Jahren institutionell ganz wunderbar entwickelt. Es gibt etliche neue Professuren, einige neue Institute, viele neue Projekte und damit auch viel mehr Stellen und Einstiegsmöglichkeiten in das Forschungsfeld für Early Career Researchers. Vor einigen Jahren konnte der Wissenschaftsrat in seinem Positionspapier zu den institutionellen Perspektiven der Wissenschafts- und Hochschulforschung noch bemängeln, dass die beiden Forschungsfelder zwar große inhaltliche Schnittmengen aufweisen, aber in ihren institutionellen Strukturen, in ihren Forschungsagenden und in der aktuellen Forschungspraxis in getrennte Communities zerfallen. Aber auch hier hat sich bereits einiges getan und ich denke, dass wir die „invisible wall that seperates them“ zwischen der Hochschul- und Wissenschaftsforschung, die Hugo Horta, ein an der University of Hong Kong ansässiger Hochschul- und Wissenschaftsforscher, in einem Aufsatz kürzlich diagnostiziert hat, schon ein gutes Stück abgebaut haben. Das ist beispielsweise sichtbar in der vom BMBF geförderten Summer School Serie für die Hochschul- und Wissenschaftsforschung, im Arbeitskreis Hochschul- und Wissenschaftsforschung in der Sektion Wissenschafts- und Technikforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), in Studiengängen und Doktorandenprogrammen, die beide Felder umfassen, sowie in den Forschungsprogrammen einiger Institute. Wichtig ist aber, dass solche Initiativen Verstetigung und Verstärkung finden. Ich hoffe natürlich, dass weitere hinzukommen, denn in der wechselseitigen Befruchtung beider Felder sehe ich großes Erkenntnispotential und viele Chancen zu innovativer Forschung, neuen Theorieperspektiven und interessanten methodischen Entwicklungen.
WiHo-Redaktion: Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Themen der kommenden Jahre in der WiHo-Forschung?
Anna Kosmützky: Neben den klassischen Themen(-feldern) beider Gebiete, werden uns sicher Fragen der Digitalisierung, Globalisierung und Kommodifizierung von Hochschule und Wissenschaft verstärkt beschäftigen. Dabei scheint mir wichtig, wo es sinnvoll ist, international vergleichende Perspektiven einzunehmen und auch in Ecken der Welt zu schauen, die sonst unbeleuchtet bleiben.