Hoher Bedarf an Führungskräfteentwicklung im akademischen Kontext
Claudia Peus ist Professorin für Forschungs- und Wissenschaftsmanagement sowie Vizepräsidentin für Talentmanagement und Diversity an der Technischen Universität München. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig aus einer international vergleichenden Perspektive mit den Themen Führung, Führungskräfteentwicklung, Talentmanagement und der Bedeutung von Diversität in Forschungs-, Wissenschafts- und Wirtschaftsorganisationen.
WiHo-Redaktion: Was ist derzeit Ihr zentrales Forschungsprojekt und welchen gesellschaftlichen Bezug hat es?
Claudia Peus: Im Rahmen des Projektes FührMINT untersuchen wir, welche Anforderungen an Führungskräfte in den MINT-Wissenschaften gestellt werden und wie Frauen für diese Positionen gewonnen und qualifiziert werden können. Wir führen mehrere Experimental- und Interviewstudien durch, um zu analysieren, wie Universitäten durch gezieltes Talentmanagement vielfältige Talente identifizieren, rekrutieren und spezifisch fördern können. Im Projekt FührMINT möchten wir aufzeigen, inwiefern Anforderungen in wissenschaftlichen Karrieren durch den Kontext bedingt sind, sich für Frauen und Männer unterscheiden und sich über Karriereverläufe hinweg verändern. Auf Basis unserer Ergebnisse entwickeln wir Leitfäden und Interventionen, die zur Professionalisierung der Rekrutierung und der Karriereförderung in den MINT-Wissenschaften beitragen können. Das FührMINT-Projekt ist vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
WiHo-Redaktion: Wie kam es, dass Sie sich mit Wissenschafts- und Hochschulforschung beschäftigt haben? Gab es ein zentrales Ereignis/eine bestimmte Erfahrung?
Claudia Peus: Nachdem ich über Führung promoviert hatte, war ich als Post-Doc in Boston (Harvard und MIT) und hatte gerade ein Angebot für eine TT-Professur in den USA in den Händen. Da rief mein Doktorvater mich an und fragte, ob ich nach Deutschland zurückkehren würde, um ein Center zur evidenzbasierten Förderung von Führungskompetenzen in der Wissenschaft aufzubauen. Da wir hier Neuland betreten konnten – in der Forschung wie in der praktischen Förderung von Führungskompetenzen in der Wissenschaft – nahm ich die Herausforderung an. Vieles, was wir damals begonnen haben, stellt das Fundament für meine heutige Arbeit an der TUM dar.
WiHo-Redaktion: Wie würden Sie das Profil Ihrer Professur mit Blick auf die Lehre beschreiben?
Claudia Peus: Meiner Professur kommt in Bezug auf die Lehre eine spezielle Rolle an der TUM zu. Neben der üblichen studentischen Lehre, bestreiten wir auch das Feld der inneruniversitären Weiterbildung. Die Professur entwickelt in Abstimmung mit den anderen Kollegen aus der Hochschulleitung Konzepte zur strategischen Personalentwicklung an der TU München. Seit 2012 haben wir ein wissenschaftlich fundiertes Trainingsangebot zur systematischen Förderung von Führungs- und Managementkompetenzen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (Professorinnen und Professoren, Post-Docs) sowie auch für das Wissenschaftsmanagement implementiert.
WiHo-Redaktion: Welche inhaltlichen Schwerpunkte zeichnet Ihre Lehre aus?
Claudia Peus: Für mein Team und mich steht besonders die Professionalisierung der Führung in Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Vordergrund. Erfolgreiche Laufbahnen im Hochschulsystem bringen es mit sich, das erfolgreiche Mitarbeiter im Laufe ihres Karrierepfades immer mehr in sehr verantwortungsvolle Positionen hineinwachsen, die vielfältige Führungskompetenzen erfordern. Oft haben aber gerade herausragende Wissenschaftler, die beispielsweise eine Professur oder eine Leitungsposition im Wissenschaftsmanagement anstreben, keinerlei Ausbildung in den Bereichen Führung und Management, da sie ihre Kapazitäten auf wissenschaftliche Exzellenz konzentrieren müssen. Hier sehe ich klaren Bedarf, Wissenschaftlern und Wissenschaftsmanagern das Rüstzeug an die Hand zu geben, Führungspositionen noch effektiver und verantwortungsvoller auszufüllen. Hier setzen wir an und bieten individualisierte Führungskräfteentwicklung im akademischen Kontext, die sowohl thematisch/wissenschaftlichen Input, wie auch individuelles Coaching und Reflexion des Führungsprofils individueller Teilnehmer unserer Kurse integriert.
WiHo-Redaktion: Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Themen der kommenden Jahre in der WiHo-Forschung?
Claudia Peus: Die WiHo-Forschung wird sich, meiner Meinung nach, mit der Frage beschäftigen müssen, wie strukturelle Karrierewege und -ziele im Bereich des wissenschaftlichen Personals sowie Karrierewege außerhalb der Wissenschaft geschaffen werden und wie Mitarbeiter systematisch auf diese Ziele hin qualifiziert werden können. Hochschulen als Bildungsinstitutionen sehen sich mit disruptiven Phänomenen wie beispielsweise der Digitalisierung konfrontiert, die es erfordern, dass die Hochschule sowohl als Ausbildungs- wie auch als Arbeitgeber dazu beiträgt, die Gesellschaft vorzubereiten. Hierzu ist ein zukunftsorientiertes Talentmanagement notwendig, das immer auch die Bedeutung der Diversität berücksichtigt. Talente sollten in ihrer Vielfalt angesprochen, ausgewählt und in ihrer Leistung gefördert werden. Auch die Frage, wie wir nicht nur im Rahmen eines Studiums oder einer Promotion, sondern lebenslang lernen und welche Methoden und Inhalte für welche Personen besonders wichtig bzw. förderlich sind, werden wir in Zukunft noch stärker thematisieren müssen.