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Geschlechternormen in der Welt der Technik

Tanja Paulitz ist Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt „Kultur- und Wissenssoziologie“ der Technischen Universität Darmstadt. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich insbesondere mit Prozessen der Technisierung und Geschlechterungleichheiten in natur- und ingenieurswissenschaftlichen Wissens- und Arbeitskulturen. Aus einer kultur- und wissenschaftssoziologischen Perspektive betrachtet sie neben historischen Verläufen insbesondere heutige Prozesse von Persistenz und Wandel.

WiHo-Redaktion: Wie würden Sie das Profil Ihrer Professur mit Blick auf die Forschung beschreiben?
Tanja Paulitz: Meine Professur ist auf kultur- und wissenssoziologische Perspektiven der Wissenschafts-, Technik- und Hochschulforschung ausgerichtet. Das Profil liegt dabei in der Tradition der Science and Technology Studies (STS). Im Rahmen meiner Professur beschäftige ich mich vor allem mit Prozessen der Technisierung, dem Geschlecht und sozialen Ungleichheiten. Dabei interessieren mich besonders kulturelle Geschlechternormen in technisch ausgerichteten Berufsfeldern und wissenschaftlichen Fachkulturen.

WiHo-Redaktion: Was ist derzeit Ihr zentrales Forschungsprojekt und welchen gesellschaftlichen Bezug hat es?
Tanja Paulitz: Zurzeit forsche ich vor allem zu Marginalisierungserfahrungen und Handlungsspielräumen von Professorinnen in der Bundesrepublik Deutschland. Das Verbundprojekt (gemeinsam mit der HAWK Holzminden, Prof. Dr. Leonie Wagner) trägt den Titel "Jenseits der Gläsernen Decke – Professorinnen zwischen Anerkennung und Marginalisierung (academica)“ (https://academica-projekt.de/) und wird vom BMBF gefördert. Das Projekt beschäftigt sich mit Geschlechterungleichheiten in den Wissenschaftskulturen und untersucht erstmalig die informellen Machtverhältnisse in der Statusgruppe der Professor*innen. Die Untersuchung deckt die vier Hochschultypen Universität, Fachhochschule, Kunst- und Musikhochschule ab.

WiHo-Redaktion: Wie kam es, dass Sie sich mit Wissenschafts- und Hochschulforschung beschäftigt haben? Gab es ein zentrales Ereignis/eine bestimmte Erfahrung?
Tanja Paulitz: Die interdisziplinäre Technikforschung innerhalb der Science and Technology Studies führte mich in das Feld der Wissenschafts- und Hochschulforschung. Dabei liegt mein Schwerpunkt im Bereich der Wissenschafts- und Hochschulkulturen. Meine wichtigsten Arbeiten sind hier die Genealogie der Technikwissenschaften im deutschsprachigen Raum (Paulitz 2012) und die Untersuchung gegenwärtiger Wissenskulturen der Natur- und Technikwissenschaften (u.a. Paulitz et al. 2015). Einen roten Faden bilden hier auch die – ausgehend von der feministischen Wissenschaftsforschung und der wissenschaftssoziologischen Geschlechterforschung – angelegten Fragen nach der Vergeschlechtlichung von Wissenschaft, d.h. von Fächern, Alltagskulturen, Wissensobjekten sowie den Akteur*innen in Hochschule und Wissenschaft.

WiHo-Redaktion: Welchen inhaltlichen Schwerpunkt zeichnet Ihre Lehre aus?
Tanja Paulitz: Die Schwerpunkte meiner Lehre liegen in den Bereichen: Arbeit und Technik, Hochschul- und Fachkulturen, Wissens- und Wissenschaftssoziologie, Science and Technology Studies, Sozial- und Gesellschaftstheorien von Arbeit sowie Technik und Gender. Auf methodischer Ebene liegt mein Fokus in der Lehre auf den qualitativen Methoden der empirischen Sozialforschung.

WiHo-Redaktion: Wie generieren Sie neue Seminarinhalte/Vorlesungsthemen?
Tanja Paulitz: Meine Themen in der Lehre entwickle ich immer im Spannungsverhältnis von klassischen Ansätzen und gegenwärtigen Entwicklungen. Dabei treten fachliche Grundlagen und aktuelle Fragen in einen engen Dialog.

WiHo-Redaktion: Wenn Sie die freie Wahl hätten: an welcher Universität im Ausland würden Sie gern arbeiten? Warum?
Tanja Paulitz: Temporäre Forschungs- und Lehraufenthalte fände ich spannend an jenen Universitäten, wo ich bereits Gastwissenschaftlerin war, und gerne wieder intensiver an die Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen dort anknüpfen würde, z.B. an der NTNU Trondheim (Norwegen). Herausfordernd fände ich STS-Forschung in Russland kennen zu lernen, wo ich u.a. studiert habe. Da mir die TU Darmstadt jedoch das denkbar beste Umfeld für meine Forschung und Lehre bietet, möchte ich nicht dauerhaft an einer anderen Hochschule arbeiten.

WiHo-Redaktion: Zum Status Quo der WiHo-Forschung in Deutschland: Worin ist sie gut? Was fehlt ihr noch?
Tanja Paulitz: WiHo-Forschung in Deutschland scheint mir ausgezeichnet und profiliert im Hinblick auf die eher institutionalistische Wissenschaftsforschung. Exzellente Ansätze gibt es auch in der Erforschung von Wissenschafts- und Hochschulkulturen. Desiderata sehe ich verstärkt im Aufbau wissenssoziologischer Ansätze im Anschluss an STS. Diese erscheinen mir derzeit zu enggeführt rezipiert – vorzugsweise auf die Arbeiten von Bruno Latour. Mich interessiert insbesondere der Zusammenhang von Wissenskulturen und Machtverhältnissen.

WiHo-Redaktion: Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Themen der kommenden Jahre in der WiHo-Forschung?
Tanja Paulitz: Ganz klar bedeutsam ist die Untersuchung des Zusammenhangs von Arbeit und Technik angesichts gegenwärtig stattfindender Technisierungsschübe wie z.B. der Digitalisierung. Mit der Schwerpunktsetzung in diesem Themenfeld widmen wir uns in der Darmstädter Soziologie derzeit intensiv der empirischen Erforschung dieser Problemstellung. Digitalisierung hat auch bereits stark die Arbeit in Wissenschaft und Hochschule verändert. Dieses Thema steht bislang noch zu wenig im Fokus der WiHo-Forschung. Weitere zentrale Themen sind die Frage der alten und neuen Ungleichheiten in Wissenschaft und Hochschule. Zwar wurden einige strukturelle Barrieren abgebaut, doch nicht zuletzt bleiben insbesondere in den Alltagskulturen und informellen Praktiken zahlreiche hochwirksame Ausschließungs- und Marginalisierungsprozesse weiterhin verankert. Diese müssen zukünftig weiter und genauer erkannt werden. Ferner sehe ich die Erforschung der immer stärkeren Verbindung von natur- und technikwissenschaftlichen „Fabrikationsweisen“ von Wissen und Materialität als zentrale Herausforderung, etwa wenn es um Zukunftstechnologien in den Lebenswissenschaften oder beispielsweise um Lebensmitteltechnologien geht, zu denen ich forsche. Da kommen Technik, ernährungswissenschaftliche Erkenntnisse und soziale Kulturen des Essens zusammen. Bei der Untersuchung solcher Interdependenzen besteht großer Nachholbedarf.