Der Wandel wissenschaftlicher Wissensproduktion gewinnt zunehmend an Bedeutung
Stefan Böschen hat zum Sommersemester des Jahres 2018 die Professur für „Technik und Gesellschaft“ am Human Technology Center (HumTec) der RWTH Aachen University angetreten. Die Aufgabe der Professur besteht darin, die Wechselwirkungen von Innovation und gesellschaftlichem Wandel auszuleuchten und dafür die entsprechenden theoretischen Konzepte zu entwickeln und empirischen Untersuchungen durchzuführen.
WiHo-Redaktion: Wie würden Sie das Profil Ihrer Professur mit Blick auf die Forschung beschreiben?
Stefan Böschen: Die Professur Technik und Gesellschaft verfolgt eine dreifache Perspektive. Erstens geht es darum, transdisziplinäre Innovationsräume zu verstehen und zu gestalten. Dabei reicht das Spektrum von ko-produktiven Prozessen in Forschung und unternehmerischer Innovation bis hin zu Reallaboren und Formen sozialer Innovation. Dazu sollen innovative Instrumente zum Verständnis von transdisziplinären Prozessen der Wissensproduktion entwickelt und zugleich für die Erschließung neuer Innovationsoptionen genutzt werden („Wissensanalytik“). Zweitens widmet sich der Lehrstuhl der Aufgabe, mittels feldtheoretischer Ansätze die Veränderung von Ordnungsmustern in Wissensgesellschaften der Gegenwart zu beobachten und zu erklären („Transformationsanalytik“). Drittens schließlich sollen aktuelle Problemstellungen der Wissenschafts- und Technikforschung behandelt werden – etwa das Thema der Organisation von Hochschulkommunikation (VW-Projekt gemeinsam mit Frau Prof. Annette Leßmöllmann, KIT). Entscheidend für diese Ausrichtung der Forschung ist die inter- und transdisziplinäre Kooperation, für die an der RWTH die besten Voraussetzungen gegeben sind.
WiHo-Redaktion: Wie kam es, dass Sie sich mit Wissenschafts- und Hochschulforschung beschäftigt haben? Gab es ein zentrales Ereignis/eine bestimmte Erfahrung?
Stefan Böschen: Ich habe ja zunächst Ende der 1980er Jahre Chemie-Ingenieurwesen studiert. Zu dieser Zeit habe ich mich auch in der Umwelt- und Friedensbewegung gesellschaftspolitisch engagiert. Es waren die Jahre der großen Risikodebatten und -Diagnosen. Diese haben mich sehr bei meinem Wunsch beeinflusst, besser zu verstehen, wie denn eigentlich wissenschaftliches Wissen entsteht und welchen sozialen Funktionen es dann mitunter unterliegt (wie eben Innovation oder Risiko). Diese Nutzung von Wissen ist nicht ohne Einfluss auf die Produktion von Wissen. Aber wie lässt sich dieser Einfluss charakterisieren, welche epistemische und soziale Bedeutung hat er? Wenn man so will, dann bin ich ein „Alt-Europäer“, der von dem Projekt der Aufklärung weiterhin überzeugt ist und davon, dass Wissen für Entscheidungsprozesse erforderlich ist, damit begründetes Entscheiden möglich ist. Zugleich haben sich die Rahmenbedingungen und Kommunikationsformen zur Bereitstellung eines solchen Wissens verändert. Das gilt es zu verstehen und vor diesem Hintergrund Antworten auf die Fragen der Zeit zu finden.
WiHo-Redaktion: Wie würden Sie das Profil Ihrer Professur mit Blick auf die Lehre beschreiben?
Stefan Böschen: Ich bin ja noch ganz am Anfang meiner Tätigkeit an der RWTH Aachen University. Es gibt zwar existierende Lehrprogramme, für die ich meine Lehrveranstaltungen aktuell anbiete, aber zugleich sollen neue Lehrprogramme entwickelt werden. Für mich ist dabei insbesondere der Zusammenhang der Deutung einer Situation mittels Wissen und der Bedeutung eines solchen Wissens für die Gestaltung von Situationen wichtig. Man könnte es auch so formulieren, dass ich versuchen möchte, in der Lehre den Zusammenhang von Theorie und Praxis zu reflektieren und das auch durch die entsprechenden Lehrangebote abzubilden (etwa in Form von Lehrforschungsprojekten mit Praxispartnern).
WiHo-Redaktion: Welche inhaltlichen Schwerpunkte zeichnet Ihre Lehre aus?
Stefan Böschen: Die inhaltlichen Schwerpunkte können durch eine fundierte Ausbildung in den Grundproblemstellungen der sozialwissenschaftlichen Wissenschafts- und Technikforschung beschrieben werden. Zudem habe ich ja einen starken Forschungsschwerpunkt auf transdisziplinäre Kooperationen zur Wissensgenese. Diese sind methodisch anspruchsvoll. Entsprechend bildet die Methodenausbildung einen wichtigen Schwerpunkt meiner Lehraktivitäten. Schließlich zeichnet sich die Ausrichtung meines Lehrstuhls ja auch durch dezidierte Theoriefragen aus. Diese sollen in der Lehre Berücksichtigung finden, wenn auch nur fokussiert.
WiHo-Redaktion: Zum Status Quo der WiHo-Forschung in Deutschland: Worin ist sie gut? Was fehlt ihr noch?
Stefan Böschen: Glücklicherweise hat sich die WiHo-Forschung in den letzten Jahren positiver entwickelt als angenommen. So gibt es schon verschiedene Schwerpunkte in der WiHo-Forschung, die sehr gut entwickelt sind. Insbesondere die Hochschulforschung wurde zur Begleitung von den Veränderungen in der Landschaft der Wissenschaft gut weiterentwickelt. Zudem haben in der Zwischenzeit gerade die Technischen Universitäten bei der Förderung entsprechender Schwerpunkte der sozialwissenschaftlichen Wissenschafts- und Technikforschung eine gewichtige Rolle erhalten. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung, da dies auch ein Gradmesser für einen Klimawandel darstellt. Die Relevanz dieser Forschung wird in der Zwischenzeit von Kernakteuren nicht nur gesehen, sondern auch dezidiert anerkannt und gefördert. Gleichwohl fehlt, um nur einen Punkt hier herauszugreifen, insbesondere eine Art integrale Wissenschaftsforschung, in der die unterschiedlichen disziplinären Perspektivierungen der WiHo zusammengeführt und auf diese Weise gerade Fragen des gegenwärtigen Wandels der Wissensgenese analytisch genauer aufgeschlüsselt werden können.
WiHo-Redaktion: Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Themen der kommenden Jahre in der WiHo-Forschung?
Stefan Böschen: Da gibt es freilich eine Fülle. Von diesen möchte ich nur zwei herausheben, die mich besonders beschäftigen werden. Zum einen scheint mir der Wandel wissenschaftlicher Wissensproduktion und seine Untersuchung an Bedeutung zu gewinnen, da eine Vielzahl von zentralen Wandlungsfaktoren darauf einwirken. Beispielsweise die Digitalisierung der Wissensgenese, die Inklusion von ganz unterschiedlichen Wissensakteuren und die Orientierung an unterschiedlichen gesellschaftlichen Relevanzen (Verwertung, Problemlösung etc.). Und schließlich auch ein Aspekt, der erst einmal überraschend sein mag: Die Veränderung der Wissensproduktion durch die schiere Masse der Wissensakkumulation. Was passiert in diesen epistemischen und sozialen Grenzzonen der Wissensgenese und mit welchen Konzepten lassen sich diese Vorgänge am besten erforschen? Zum anderen hat dies Konsequenzen für die Nutzung wissenschaftlichen Wissens im gesellschaftlichen Entscheiden und Gestalten. Denn Wissen, wie auch das damit verbundene Nichtwissen, bedarf anderer Formen der Wissensgenese, -darstellung und Kommunikation.