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Die Notwendigkeit zur kritischen Reflexion der Hochschulkultur

Marianne Merkt leitet das Zentrum für Hochschuldidaktik und angewandte Hochschulforschung (ZHH) und hat seit 2012 eine Professur für Hochschuldidaktik und Wissensmanagement an der Hochschule Magdeburg-Stendal inne. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt in der Professionalisierung der Hochschullehre und Hochschuldidaktik. Darüber hinaus beschäftigt sie sich mit institutionellen und kulturellen Rahmenbedingungen von Studieninteressierten mit Flüchtlingshintergrund.

WiHo-Redaktion: Wie würden Sie das Profil Ihrer Professur mit Blick auf die Forschung beschreiben?
Merkt: Meine Professur und meine Forschungsarbeit ist eng mit der Förderlinie „Qualitätspakt Lehre“ des BMBFs verbunden. Das Förderprogramm hat ein großes Entwicklungslabor im Bereich Studium und Lehre finanziert. Im Rahmen der Förderlinie hatten die Hochschulen unter anderem die Möglichkeit, Professuren einzurichten, die dem Experimentierfeld entsprechen. Dadurch wurden Professuren mit Forschungsinteressen in neu entstandenen Forschungsfeldern ermöglicht, die sich mit Forschungsfragen der Hochschuldidaktik, der Hochschulforschung, des Qualitätsmanagements oder auch mit fachdidaktischen Perspektiven in Bezug auf die Hochschulbildung auseinander setzen. Sie sind stärker am Entwicklungsbedarf der Hochschulen im Sinne eines gesellschaftlich relevanten Feldes orientiert als an den bestehenden Forschungsfragen der Disziplinen. Beispielsweise ist die Öffnung der Hochschulen, also die zunehmende Heterogenität der Studienanfänger/innen und deren Auswirkungen auf die institutionelle Gestaltung der Studieneingangsphase ein wesentliches Thema. Das äußert sich auch in der Diskussion von Forschungsdesigns, Forschungsmethodologien oder von Forschungsinstrumenten, die aus den unterschiedlichsten Disziplinhintergründen stammen, also eher transdisziplinär verortet sind. Dieses neue Entwicklungsfeld hat zwar noch wenig Systematisierung erfahren. Es zeichnet sich jedoch schon ab, dass es dafür einen Bedarf an den Hochschulen gibt, weil erste Entfristungen zu einer Verstetigung der neuen Professuren und ihrer Forschungsfelder geführt haben. Typisch für diese Professuren ist, dass sie meist schon in der Denomination und dem ausgeschriebenen Stellenprofil festgelegte Funktionsaufgaben im Entwicklungsbereich von Studium und Lehre einer Hochschule übernehmen. Dadurch ist die Verbindung von Forschung, Intervention und Organisationsentwicklung schon in der Stelle angelegt.

Meine Professur ist in diesem Feld genuin hochschuldidaktisch ausgerichtet. D.h. über die Fragen, die die Förderung der Lern- und Bildungsprozesse der Studierenden durch institutionelle Rahmenbedingungen hinaus betreffen, ist mein Forschungsfokus insbesondere die Frage, was diese Perspektive für die theoretische Begründung und empirische Vorgehensweise der Hochschuldidaktik als neu entstehendes professionelles Arbeitsfeld bedeutet.

WiHo-Redaktion: Was ist derzeit Ihr zentrales Forschungsprojekt und welchen gesellschaftlichen Bezug hat es?
Merkt: Zentral ist für mich derzeit die Forschung dazu, wie sich die kulturelle Integration von Studienanfänger/innen in der Studieneingangsphase gestaltet. Ich gehe von der Annahme aus, dass eine gelingende Integration Voraussetzung für ein Hochschulstudium ist, das zu einer fachwissenschaftlichen und akademischen Identität der Absolvent/innen führen soll. Die Studieneingangsphase ist dafür eine besonders prekäre Transitionsphase, in der auf institutioneller Ebene die Anforderung bewältigt werden muss, Studierende mit den unterschiedlichsten Bildungserfahrungen, Bildungszielen und Ressourcen in die Hochschulkultur einzuführen. Dazu gehört, die Hochschulkultur immer wieder auf ihre Tauglichkeit im Hinblick auf das intendierte Bildungsziel kritisch zu hinterfragen.

WiHo-Redaktion: Wie würden Sie das Profil Ihrer Professur mit Blick auf die Lehre beschreiben?
Merkt: Eine Hälfte meines Lehrdeputats erbringe ich in hochschuldidaktischer Weiterbildung, die andere Hälfte in grundständiger Lehre in einem Masterstudiengang der Sozialwissenschaften. Da ca. die Hälfte der Teilnehmenden in meiner hochschuldidaktischen Weiterbildung Personen mit Verantwortung in Studium und Lehre sind, sind die inhaltlichen und methodischen Anforderungen an die Weiterbildung hoch. Die Themen sind an der Organisationsentwicklung der Hochschule orientiert und verändern sich deshalb in kürzeren Zyklen als in der grundständigen Lehre.  Die Teilnehmenden sollen über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse im jeweiligen Themenfeld, die relevant für ihren Arbeitsalltag sind, informiert werden. Die Diskussionen in den Workshops sind meist sehr anspruchsvoll und haben in Form neuer Ideen, die gemeinsam entwickelt werden, oft Rückwirkungen auf die Organisationsentwicklung. Deshalb ist die Vorbereitung wesentlich aufwändiger als die Vorbereitung für die grundständige Lehre. Zudem findet eine Begleitung der Teilnehmenden des Zertifikatsprogramms in Bezug auf ihre Entwicklungsprozesse statt. Hierfür setzte ich zusätzlich die hochschuldidaktischen Formate der  Lehrhospitation, der betreuten Lehrportfolio-Arbeit und der Betreuung eines individuellen Forschungs- oder Entwicklungsprojekts in der Lehre ein.

WiHo-Redaktion: Wenn Sie die freie Wahl hätten: an welcher Universität im Ausland würden Sie gern arbeiten? Warum?
Merkt: Sehr gern würde ich mal ein Semester oder ein Jahr an der Universität Helsinki in Finnland im dortigen hochschuldidaktischen Zentrum bei Sari Lindblom-Ylänne arbeiten. Sie hat meiner Einschätzung nach ein überzeugendes Modell entwickelt, eng und forschungsbasiert in Projekten mit den Lehrenden aller Fakultäten zusammen zu arbeiten. Dieses Modell würde ich gern aus der Innenperspektive kennen lernen, um zu verstehen, wie es genau funktioniert und ob das Modell Transferpotential für die deutsche Hochschuldidaktik hätte.

WiHo-Redaktion: Zum Status Quo der WiHo-Forschung in Deutschland: Worin ist sie gut? Was fehlt ihr noch?
Merkt: Hier kann ich nur für die hochschuldidaktische Forschung in Deutschland sprechen, nicht für die WiHo-Forschung insgesamt. Im Kontext der umfangreichen Projektförderung im Bereich Studium und Lehre hat die hochschuldidaktische Forschung einen enormen Aufschwung erfahren. Das zeigt sich unter anderem auf den hochschuldidaktischen Jahrestagungen, die mittlerweile bis zu 700 Teilnehmende haben und wesentliche Fragen der Hochschuldidaktik und der hochschuldidaktischen Begleitforschung behandeln. Das Positionspapier 2020 der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik (dghd) gibt einen aktuellen Überblick über diese Entwicklung. Interessant ist, dass die methodischen Zugänge nicht disziplinär gebunden sind, sondern sich eine Transdisziplinarität mit Impulsen aus unterschiedlichen Forschungsgebieten entwickelt, was dem Gegenstandsbereich auch angemessen ist. Es fehlen aber die systematisierenden Ansätze, eine forschungsmethodologische Bearbeitung der Breite der Ansätze und erkenntnistheoretische Begründungen der Hochschuldidaktik. Bislang gibt es dafür jedoch keine legitimierten institutionellen Räume in den Hochschulen oder hochschulübergreifend.

WiHo-Redaktion: Wo sehen Sie die deutsche WiHo-Forschung im internationalen Vergleich? Was könnten wir von welchen Ländern lernen?
Merkt: Auch hier kann ich nur für die hochschuldidaktische Forschung sprechen, im Englischen als Research in Academic Development bezeichnet, das sowohl Staff Development, also Weiterbildung, als auch Educational Development, also Lehr-Lernentwicklung über alle Ebenen des Bereichs Studium und Lehre hinweg beinhaltet. In Großbritannien hat es vor allem im Kontext einer vergleichbaren Förderung zum Qualitätspakt Lehre von 1995 bis 2005 eine umfangreiche Generierung von theoretischer Begründung, empirischer Fundierung, sowohl hochschuldidaktischer als auch fachdidaktischer Fragestellungen gegeben. Interessante Ansätze dazu gibt es ebenso in den skandinavischen Ländern und in den Niederlanden. Im anglo-amerikanischen Raum gibt es umfangreichere empirische Forschungsarbeiten vor allem in den USA, Australien und Neuseeland, die jedoch nicht den theoretischen Ansprüchen der deutschen Forschung entsprechen können. Die Tatsache, dass in den einschlägigen internationalen Journals der hochschuldidaktischen Forschung Beiträge von deutschen Autor/innen höchst selten vertreten sind, zeigt jedoch, dass Deutschland hier im internationalen Diskurs bisher keinen substantiellen Beitrag leisten kann.