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„Lernen kann man immer.“

Prof. Dr. Georg Krückens erster Ruf war der auf eine Stiftungsprofessur zum Wissenschaftsmanagement. Schon fünf Jahre später, im Oktober 2011, wird er geschäftsführender Direktor des anerkannten Forschungsinstituts „International Centre for Higher Education Research“ in Kassel (INCHER-Kassel).

Seitdem Georg Krücken Institutsleiter des INCHER-Kassel ist, versucht er, seine erworbenen Kenntnisse im Wissenschaftsmanagement mit seinen breiten wissenschaftlichen Interessen wie der interdisziplinären Hochschul- und Wissenschaftsforschung, der soziologischen Theorie und dem Neo-Institutionalismus miteinander zu verbinden und gezielt zur Leitung des INCHER einzusetzen.

WiHo-Redaktion: Wie soll das Profil Ihrer Einrichtung in 10 Jahren aussehen?
Krücken: Vorweg ist zu sagen, dass nach meinem Verständnis Hochschulforschung nicht per se interdisziplinär ist. Interdisziplinarität setzt ein hohes Maß an disziplinärer Kompetenz voraus, auf der es aufzubauen gilt. Das INCHER will als universitäres Forschungszentrum interdisziplinäre, internationale und theoriegeleitete Hochschulforschung langfristig auf hohem Niveau betreiben. Dafür sind wir für die nächsten Jahre gut aufgestellt. Seit Kurzem haben wir das Amt des stellvertretenden Direktors geschaffen. Neben mir als Direktor – ich bin zugleich auch Professor für Soziologie – haben wir nun mit Guido Bünstorf auch einen renommierten Professor für Volkswirtschaftslehre in der Institutsleitung, der ebenfalls in der Hochschulforschung tätig ist. Das erlaubt uns die interdisziplinäre Kooperation am Interface von Sozial- und Wirtschaftswissenschaften auf hohem Niveau, etwa zur Erforschung von Wettbewerbsprozessen im Hochschul- und Wissenschaftssystem.

WiHo-Redaktion: Welchen Beitrag leistet das INCHER zur Weiterentwicklung der Wissenschafts- und Hochschulforschung?
Krücken: Am INCHER-Kassel wurden in den letzten 5 Jahren insgesamt 13 Promotionen abgeschlossen. Dieses sehr hohe Niveau in der Nachwuchsförderung soll beibehalten und weiterentwickelt werden. Dazu gehört auch, dass wir zukünftig stärker vernetzte Forschungs- und Promotionsprogramme, möglichst im Rahmen der DFG-Förderung, anstreben, um einen substanziellen Beitrag zur Weiterentwicklung der Hochschul- und Wissenschaftsforschung zu leisten.  

Zu unserem Profil wird es außerdem – ebenso wie bisher – gehören, dass das INCHER in viele internationale Forschungskooperationen eingebunden sein und eine häufig besuchte Gasteinrichtung für internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darstellen wird.

WiHo-Redaktion: Zum Status quo der WiHo-Forschung in Deutschland: Worin ist sie gut? Was fehlt ihr noch?
Krücken: Besondere Stärken der Hochschul- und Wissenschaftsforschung in Deutschland sehe ich in der theoretischen Fundierung und der „Mixed-methods“-Orientierung zahlreicher Forschungsprojekte. Dies hat gerade in den letzten Jahren zugenommen, nicht zuletzt, weil wir in Deutschland eine breite und diversifizierte Forschungsförderung haben und zum Beispiel auch Ministerien im Gegensatz zu anderen nationalen Systemen nicht nur kurzfristige Auftragsforschungsprojekte ausschreiben. Dies ermöglicht die Unabhängigkeit und Ergebnisoffenheit der Forschung.

Auch wenn die Verknüpfung von Hochschul- und Wissenschaftsforschung in den letzten Jahren zugenommen hat, sehe ich hier durchaus noch Entwicklungspotenzial. Ebenso wäre es wünschenswert, die Verbindung zu theoretischen und methodischen Entwicklungen zu stärken, die wir in den Hochschul- und Wissenschaftsforschung tragenden Disziplinen und angrenzenden interdisziplinären Forschungsbereichen beobachten können.

WiHo-Redaktion: Wo sehen Sie Deutschland in der WiHo-Forschung im internationalen Vergleich?
Krücken: Inhaltlich ist die Hochschul- und Wissenschaftsforschung gut aufgestellt. Hier muss man sich nicht verstecken. Eine Schwäche besteht jedoch darin, dass angesichts der Größe des Feldes insgesamt noch zu wenig international publiziert wird, insbesondere in begutachteten Zeitschriften.

WiHo-Redaktion: Was könnten wir von welchen Ländern lernen?
Krücken: Lernen kann man immer. Ich würde hier gerne zwei Aspekte hervorheben. Erstens kann man insbesondere von kleineren Ländern lernen, die – wie zum Beispiel die skandinavischen Länder, die Niederlande oder Portugal – sehr häufig internationale Vergleiche durchführen und internationale Entwicklungen frühzeitig aufgreifen. Die deutsche Forschung ist manchmal zu selbstbezogen, was aber auch, wie der Blick nach Großbritannien und in die USA zeigt, mit der Größe des nationalen Hochschul- und Wissenschaftssystems sowie der darauf bezogenen Forschung zusammenhängt. Zweitens kann man von der Forschung in den USA lernen, welche enormen Vorteile es hat, wenn es eine breit zugängliche Datengrundlage für die Hochschul- und Wissenschaftsforschung gibt. Die Datenlage ist dort trotz der sehr dezentralen und in sich heterogenen Hochschul- und Wissenschaftslandschaft eindeutig besser als in Deutschland. Mit der Datenlage entwickeln sich auch die Methoden, insbesondere in der quantitativen Forschung. Vor allem in der Methodenentwicklung sehe ich also durchaus Lernchancen beim Blick über den Atlantik, während die Theorieentwicklung meiner Einschätzung nach bei uns gut ist. Große Durchbrüche in der Theorieentwicklung – sofern sie denn vorkommen – sind auf individuelle Ausnahmeerscheinungen zurückzuführen, z. B. Robert K. Merton, Ian Hacking oder Bruno Latour, die im Prinzip in allen nationalen Systemen möglich sind. 

WiHo-Redaktion: Gegenwärtig ist ein starker Trend zur Aufnahme eines Studiums zu verzeichnen. Auch die Anzahl der Studiengänge ist in den letzten Jahren rasant gestiegen. Können Sie diese Entwicklung als Wissenschafts- und Hochschulforscher erklären?
Krücken: In den öffentlichen Diskussionen überwiegen funktionale Argumente, nach denen die sich entwickelnde Wissensgesellschaft ein Hochschulstudium für möglichst viele erforderlich macht. Das greift jedoch zu kurz. Mindestens ebenso wichtig sind sich wechselseitig verstärkende Anpassungs- und Wettbewerbsprozesse auf der staatlichen, organisationalen und individuellen Ebene. Die Studierendenquote und die Anzahl der Studiengänge nehmen auch zu, weil Deutschland sich über die OECD, die EU und andere supranationale Einrichtungen an übergreifende Trends anpasst. Hochschulen verhalten sich als Organisationen über neue Studiengänge stärker wettbewerblich, und Individuen befinden sich in einem Wettbewerb um Berufs- und Lebenschancen, der auch die Studierneigung erhöht, denn diese Chancen korrelieren mehr denn je mit Bildungsabschlüssen.