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Forschenden mehr vertrauen

Gabi Reinmann leitet das Hamburger Zentrum für Universitäres Lehren und Lernen. Ihre Professur an der Universität Hamburg nutzt Sie dazu, die Hochschullehre zu verbessern – mit kreativer Forschung und praktischem Engagement.

WiHo-Redaktion: Wie beurteilen Sie den Status der Wissenschafts- und Hochschulforschung: Welche positiven Entwicklungen gibt es? Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?
Reinmann: Ich beantworte die Frage mal aus Sicht der Hochschuldidaktik: In Ihrer Aufzählung fehlt mir zunächst einmal die Bildungsforschung. Im Kern ist die Hochschuldidaktik nämlich eine Form der Bildungsforschung, die aber den Bezug vor allem zur Wissenschaftsforschung – Stichwort Wissenschaftsdidaktik – und zur Hochschulforschung braucht. Universitäten als Orte der Bildung, Forschung und Lehre kann man nicht mit einer nur soziologischen Forschung verstehen, erklären und verändern.
Gut ist, dass Wissenschaft und Bildung an Hochschulen überhaupt wieder im Fokus stehen. Aber es mangelt noch an einer erkenntnistheoretischen Auseinandersetzung über die Forschung im Schnittfeld von Bildungs-, Hochschul- und Wissenschaftsforschung, an entsprechend vielfältigen Publikationsformen und -organen sowie einer höheren Bereitschaft der Universitäten zur Selbstreflexion. Wichtig wären zudem Fördergelder, die langfristiger und vielfältiger angelegt werden könnten. Man muss meiner Einschätzung nach den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mehr vertrauen und ihnen auch zutrauen, dass sie begründet und sinnvoll Themen setzen und Fragen verfolgen, anstatt diese in Programmen mitunter geradezu vorzugeben.

WiHo-Redaktion: Wie steht es aus Ihrer Sicht um die Forschungsförderung in puncto Digitalisierung und anderer Innovationen in der Hochschullehre?
Reinmann: Wir haben an der Ludwig-Maximilian-Universität München schon 1998 die ersten virtuellen Seminare angeboten. Insbesondere in Kooperationen mit der Wirtschaft werden diese „alten“ Ideen und Erkenntnisse von damals auch heute noch als „Innovationen“ verkauft. 

Mein Weg in die Hochschuldidaktik ging von der Klinischen und Pädagogischen Psychologie über die Mediendidaktik zur Hochschuldidaktik. In der Zeit zwischen 1995 und 2010 gab es eine höchst kreative Community im Medienbereich – das sollte man bei den immer wieder neuen Schlagwörtern zur Digitalisierung nicht vergessen. Heute wird jede Idee sofort kommerzialisiert, politisiert oder zu marktschreierischen Höhenflügen mit Preisen umgewandelt. Man denke nur an die MOOC-Welle. Hier brauchen wir mehr bodenständige Kooperationen zwischen Medien- und Hochschuldidaktik, weniger PR und Hochglanz-Webseiten und dafür mehr Theorie und Empirie.

WiHo-Redaktion: Mit welchem Forschungsprojekt beschäftigen Sie sich zur Zeit und welche gesellschaftliche Relevanz hat es? 
Reinmann: Ich würde aktuell von mindestens drei zentralen Vorhaben sprechen, die Forschung und Lehre gezielt miteinander verbinden und auf diesem Wege auch den gesellschaftlichen Bezug herstellen. In unserem Begleitforschungsprojekt zum Qualitätspakt Lehre untersuchen wir die „Forschungsorientierung in der Studieneingangsphase (FideS)“. Methodologisch beschäftigen wir uns mit dem Ansatz des Design-Based Research (DBR) und bauen hierzu eine internationale Open-Access-Zeitschrift (EDeR) auf. Im Oktober startet unser reformierter Master of Higher Education an der Universität Hamburg, den wir 2,5 Jahre wissenschaftlich begleiten und weiterentwickeln wollen.

WiHo-Redaktion: Wie gestaltet sich die Forschung nach dem Design-Based-Research-Ansatz?
Reinmann: Design-Based Research lässt sich am besten mit „entwicklungsorientierte Bildungsforschung“ übersetzen – einer Form der Forschung, die Analyse, Entwurf und Entwicklung sowie Evaluation und Re-Design zyklisch verbindet. DBR strebt danach, sowohl wissenschaftliche Erkenntnis als auch praktischen Nutzen zu erreichen – in der Hochschullehre also generalisierbares Wissen ebenso wie lokale Problemlösungen zu generieren. DBR ist im angelsächsischen Raum im Kontext von Higher Education weiter verbreitet als bei uns und erhält auch leichter finanzielle Förderung. Davon könnten wir lernen.

WiHo-Redaktion: Was sind aus Ihrer Sicht die bedeutendsten Themen der kommenden Jahre in der Hochschuldidaktik?
Reinmann: Ich finde Fragen der theoretischen und institutionellen Einbettung wichtig, weil es nach wie vor an einer stabilen Forschungsstruktur für die Hochschuldidaktik mangelt. Man findet z. B. keine passende Sektion in der Deutschen Forschungsgemeinschaft, um Fördergelder für die Hochschuldidaktik zu beantragen. Es gibt kaum Professuren für Hochschuldidaktik etc. Die fachbezogene Didaktik in der Hochschule und das Prüfungssystem sind weitere wenig erforschte Gebiete mit hoher praktischer Relevanz, und so wichtig Hochschuldidaktik als „Service-Einrichtung“ auch sein mag, wir brauchen dringend mehr Engagement für die hochschuldidaktische Forschung – inklusive der damit verbundenen Selbstreflexion an unseren Hochschulen in Sachen akademischer Lehre.