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Für eine stärkere Integration von Hochschul- und Wissenschaftsforschung

Prof. Dr. Mike S. Schäfer leitet seit 2015 das Kompetenzzentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (CHESS) an der Universität Zürich. Als Professor für Wissenschaftskommunikation lehrt und forscht Mike Schäfer auf dem Gebiet der Hochschulkommunikation sowie der Umwelt- und Klimawandelkommunikation. Dabei interessiert er sich vor allem für Veränderungen der Wissenschaft durch digitale Medien und die Einstellung der Bevölkerung gegenüber der Wissenschaft und Forschung.

WiHo-Redaktion: Was würden Sie als Mission Ihres Instituts ansehen?

Mike S. Schäfer: Hochschulen und Wissenschaft haben sich immer gewandelt. Das tun sie auch jetzt, in einigen Bereichen in rasantem Tempo und teils unter externem Druck.
Ziel des CHESS ist es zum einen, diesen Prozess zu reflektieren und dazu Kompetenz aus verschiedenen Disziplinen an einen Tisch zu holen, gemeinsam drängende Fragen zu identifizieren, dazu zu forschen und auf dieser Basis Antworten zu formulieren. Zum anderen wollen wir auf dieser Basis auch die Selbstreflexion der Hochschulen und der Wissenschaften stärken und Anregungen dafür geben, wie die Herausforderungen von den zunehmend autonomen Hochschulen am besten angegangen werden können. Das machen wir in Veranstaltungen, über Weiterbildungsangebote und Beratung.
Insgesamt gehen wir davon aus, dass Hochschulen mit ihren Kernaufgaben Forschung und Lehre angesichts veränderter gesellschaftlicher Erwartungen und der Reformen der letzten Jahre neu gedacht werden müssen. Und dass es dafür der stärkeren Integration von Hochschul‐ und Wissenschaftsforschung bedarf, also von zwei Feldern, die bisher institutionell, paradigmatisch und sozial weitgehend getrennt waren. Das Schöne am CHESS als neu entstandenem Zentrum ohne allzu viel historischen Ballast ist, dass wir das auch frei tun können.

WiHo-Redaktion: Welche Aktivitäten Ihres Instituts wurden in den letzten Jahren in der wissenschaftlichen Community bzw. in der Öffentlichkeit besonders wahrgenommen?

Mike S. Schäfer: In der Schweizer Landschaft ist unter anderem unser CAS-Studiengang zu „Leadership und Governance an Hochschulen“ gut angekommen. Mit diesem bieten wir Teilnehmenden aus verschiedenen Hochschultypen der Schweiz und über verschiedene Führungsstufen hinweg eine hochwertige Ausbildung zu Führung an Hochschulen, zu Management, zu Fragen von Governance und zu interner und externer Kommunikation. Der Kurs erfreut sich seit seiner Etablierung 2015 einer außerordentlich hohen Nachfrage. Die 24 Plätze werden teils mehr als ein Jahr im Voraus gebucht, die Zahl der Anmeldungen liegt beim Doppelten der Studienplätze. Das macht deutlich, was sicherlich nicht nur für die Schweiz gilt: Es gibt einen großen Bedarf von Hochschulangehörigen in Führungspositionen nach Orientierungswissen und Professionalisierung.

Aber auch in unseren anderen Arbeitsbereichen sind wir gut aufgestellt: Das CHESS ist neben der Beteiligung an internationalen Verbundprojekten in der Schweiz mit Projekten wie dem «Wissenschaftsbarometer Schweiz» sichtbar. Auch die CHESS Veranstaltungen haben eine sehr gute Resonanz. Dazu gehören beispielsweise jedes Jahr fünf bis zehn CHESS lectures, teils mit Kolleginnen und Kollegen, die Sie auch schon interviewt haben, wie Georg Krücken. Zudem übernehmen wir Beratungsprojekte, in denen wir etwa Ausmaß und Folgen der Entdifferenzierung der Zürcher Hochschulen analysieren.

WiHo-Redaktion: Zum Status Quo der WiHo-Forschung im deutschsprachigen Raum: Worin ist sie gut? Was fehlt ihr noch?

Mike S. Schäfer: Die Hochschul- und Wissenschaftsforschung hat sich im gesamten deutschsprachigen Raum stark diversifiziert. Das trägt den vielfältigen Wandlungsprozessen Rechnung, mit denen Wissenschaftsorganisationen konfrontiert sind. Und das spiegeln auch die hochschulpolitischen Umwälzungen der letzten Jahre wider.
Mein Eindruck ist, dass es zum einen unter diesen Themenfeldern neuralgische Punkte gibt, die noch mehr Aufmerksamkeit bedürften: unter anderem die sich ständig weiter entwickelnde Leistungsmessung in der Wissenschaft, die Analyse von Wandlungsprozessen der Wissenschaftskommunikation sowie Studien zu den gesellschaftlichen und innerwissenschaftlichen Auswirkungen der veränderten „third mission“.
Aus der Vogelperspektive ist für mich zudem die Integration der Wissenschafts- und der Hochschulforschung eine Herausforderung. Eigentlich waren die Gegenstandsbereiche beider Forschungsfelder schon immer eng miteinander verwoben – die entsprechende Forschung aber nicht. Und in den letzten Jahren hat die wechselseitige Durchdringung von Hochschulen und Wissenschaft noch zugenommen. Daher ist es dringend notwendig, auch die Forschung zu beiden Bereichen zu verzahnen.
Das Thema Digitalisierung ist für meine persönliche Arbeit da ein ganz Zentrales: Wie verändert sich der gesellschaftliche Status von Wissenschaft und Hochschulen im Zeitalter von «alternative facts» und «filter bubbles»? Gibt es künftig Segmente der Gesellschaft, die wir kommunikativ nicht mehr mit Wissenschaftsthemen erreichen? Und wie verändern Online-Medien und Social Media die Wissenschaft – sowohl ihre Organisationen, als auch die Erkenntnisproduktion selbst?

WiHo-Redaktion: Welche Fragestellungen der WiHo-Forschung benötigen aus Ihrer Sicht den internationalen Vergleich?

Mike S. Schäfer: Für fast alle schon genannten Fragen ist es sinnvoll, international vergleichend vorzugehen – natürlich auch, weil die internationale Mobilität von Studierenden und wissenschaftlichem Personal zugenommen hat. Es gibt Felder wie die Analyse von Forschungs- und Innovationspolitik, in denen international vergleichende Studien an Bedeutung gewonnen haben und weiter gewinnen werden.
Zudem ist es sinnvoll, nationale Internationalisierungsstrategien selbst und deren Einbettung in Hochschulsysteme komparativ zu analysieren. Dies schließt die Bereiche Forschung, Lehre und Wissenstransfer mit ein. Immer mehr Wissenschaftsorganisationen setzen ja angesichts der politischen Vorgaben, des intensivierten Wettbewerbs und – je nach Land – des Fachkräftemangels zunehmend auch Internationalisierung auf ihre strategischen Agenden.
Wichtig ist dabei aber, sinnvolle Vergleiche auszuwählen. Nicht für jedes Thema lohnt es sich, auf die USA – von der man ja implizit oder explizit eigentlich meist nur die creme de la creme weniger herausragender „Research Universities“ berücksichtigt – zu schielen. Gerade der Vergleich innerhalb des deutschsprachigen Raumes ist für viele Fragen simpel aufschlussreicher.

WiHo-Redaktion: Welches sind die jüngsten Trends in der Hochschullandschaft der Schweiz? Können Sie diese Entwicklung als Wissenschafts- und Hochschulforscher/in erklären?

Mike S. Schäfer: Fragen und Trends in der Hochschulforschung der Schweiz sind sehr vergleichbar mit anderen Ländern. Es geht beispielsweise um die Spannungsfelder zwischen akademischer Freiheit und gesellschaftlicher Verantwortung, zwischen gemanagter Hochschule und akademischer Selbstverwaltung, zwischen Forschung, Lehre und Dienstleistung.
Die Diskussion in der Schweiz findet aber unter zwei spezifischen Bedingungen statt. Erstens einer im internationalen Vergleich komfortablen Haushaltslage: Es gibt außerordentlich solide und auch in den letzten Jahren noch gestiegene Beiträge der öffentlichen Hand für die Hochschulen, sowohl was die Grundfinanzierung als auch was die Drittmittelfinanzierung angeht. Zweitens ist der Schweizer Föderalismus eine Besonderheit. Hier sind oftmals einzelne Kantone für Universitäten oder Hochschulen zuständig, und das schafft eine besondere Nähe zur Politik und ganz spezielle Spielregeln und Spielräume.
Bei beiden Punkten gibt es aber in jüngster Zeit Bewegung: Einerseits nimmt die Bereitschaft der öffentlichen Hand ab, wenn auch auf hohem Niveau, wenn es darum geht, die gewohnten Zuwachsraten zu garantieren. Andererseits werden dem Schweizer Hochschulföderalismus mit einem neuen Hochschulgesetz gerade eben neue Spielregeln gegeben.

WiHo-Redaktion: Wie soll das Profil Ihrer Einrichtung in 10 Jahren aussehen bzw. welche Herausforderungen sehen Sie für das Institut in den nächsten Jahren?

Mike S. Schäfer: In zehn Jahren wollen wir vor allem ein exzellenter Forschungsbetrieb sein, was seinen Ausdruck in der Schaffung eines DoktorandInnenkollegs, von Förderprofessuren und eigenen CHESS-Professuren finden soll. Flankierend sollen daneben ein etablierter Beratungsbetrieb für die wichtigsten wissenschafts- und hochschulpolitischen Akteure in der Schweiz und International stehen, ausgebaute Weiterbildungsangebote und ein kontinuierlicher Veranstaltungsbetrieb.