Hochschuldidaktik als professionelle Verbindung von Forschung, Politik und Praxis
Die 47. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik – dghd fand in diesem Jahr vom 27. Februar bis 2. März am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) statt. Über 500 Teilnehmer/-innen aus dem Forschungsfeld und benachbarter Bezugsdisziplinen kamen zusammen, um sich aus einer interdisziplinären Perspektive forschungs- und praxisbezogen mit aktuellen Fragestellungen der Hochschuldidaktik auseinanderzusetzen.
Als Kernanliegen der diesjährigen dghd-Jahrestagung betonte Ines Langemeyer, Organisatorin der Tagung und Professorin für Lehr-Lernforschung am KIT, das Moment der Suchbewegung nach professionellen Verbindungen zwischen Forschung, Politik und Praxis. Um fachwissenschaftliche und hochschuldidaktische Expertise in der Lehre zu entwickeln, sei es relevant, die Verbindungsebenen zwischen den Akteur/-innen zu verstehen und praxisbezogene Fragestellungen zur Hochschullehre im wissenschaftlichen Diskurs zu erörtern: „Forschung und Lehrpraxis müssen eine Verbindung halten,“ betont Professorin Langemeyer, „sonst bleibt das Studium bestenfalls eine höhere Allgemeinbildung, verliert aber das Kritikpotenzial wissenschaftlichen Denkens. Hier liegen die didaktischen Probleme unserer Zeit. Dem Argument, wir müssten uns immer stärker den Willen unserer ‚Kunden‘ zu eigen machen, wie es neuerdings öfter nahegelegt wird, ist dringend zu widersprechen. Deshalb ist Forschung über diesen Gesamtzusammenhang wichtig, damit sich die Wissenschaft kritisch selbst reflektieren kann. Das wird bislang zu wenig und nicht nah genug an der Praxis gemacht.“
Klassiker der Hochschuldidaktik
Die Frage nach dem disziplinären Selbstverständnis und dem Gegenstandsbereich der Hochschuldidaktik wurde im Symposium „Hochschuldidaktische Klassiker – Klassiker der Hochschuldidaktik“ anhand der spezifischen Funktion von „Klassikern“ für eine Disziplin näher erörtert. Klassiker können als identitätsstiftendes Element betrachtet werden, das die Kernzonen disziplinärer und professioneller Zuständigkeit begrenzt und so den Gegenstandsbereich definiert. Insbesondere für die Hochschuldidaktik ist die Frage nach Klassikern und ihrer Bedeutung zentral, da ihr die reputationsstärkende Tradition, die mit Klassiker-Sammlungen verbunden ist, bis heute fehlt: „Derzeit spielen Klassiker keine Rolle in der Hochschuldidaktik“, diagnostiziert Professor Dr. Peter Tremp (ETH Zürich). Für ihn persönlich haben jene bislang selbst gewählten Klassiker allerdings sehr wohl einen zentralen Beitrag für ein Verständnis geleistet, worum es in dem Bereich der Hochschuldidaktik eigentlich geht. Die Frage sei: „Welche Personen, Konzepte oder Programme entfalten eigentlich das Problem, das wir im Gegenstandsbereich der Hochschuldidaktik bearbeiten?“ Auch Dr. Antonia Scholkmann, Mitglied des dghd-Vorstandes, betont das identitätsstiftende Moment in der Beschäftigung mit Klassikern: „Klassiker der Hochschuldidaktik zum Thema zu machen, bedeutet für mich eine Auseinandersetzung damit, wer wir als Hochschuldidaktiker/-innen sind. Daran anknüpfend steht der Aushandlungsprozess, wen wir als unsere Gründungsmütter und -väter ansehen.“ An Fragen der Disziplinherausbildung schlossen sich am Mittag des dritten Tagungstages Zukunftsfragen an: In welche Richtung soll sich unsere Hochschullandschaft verändern? Wie sieht die Zukunft der Hochschullehre aus?
Streitgespräch: Prof. Dr. Gabi Reinmann & Prof. Dr. Manfred Prenzel zur Zukunft der Hochschullehre
Die Frage, wie die Qualität der deutschen Hochschulbildung nachhaltig verbessert und im internationalen Vergleich auch in Zukunft konkurrenzfähig gestaltet werden kann, ist in erster Linie auch eine Frage nach den politischen und institutionellen Voraussetzungen von guter Hochschullehre. Genau darum ging es im Streitgespräch zur Zukunft der Hochschullehre, das das vom Wissenschaftsrat (WR) Ende April 2017 veröffentlichte Positionspapier zum Thema „Strategien für die Hochschullehre“ in einer kontroversen Auseinandersetzung in den Blick nahm. Darin betrachtet der Wissenschaftsrat systemisch die bisherigen Entwicklungen und Ansätze zur Stärkung der Hochschullehre und leitet daraus zentrale strategische Handlungsfelder ab. Ausschlaggebend war für ihn die Frage, wie sich Wertschätzung und Sichtbarkeit der Lehre an den deutschen Hochschulen erhöhen lassen.
Professor Dr. Gabi Reinmann betonte im Streitgespräch mit Prof. Dr. Manfred Prenzel, dem ehemaligen Vorsitzenden des Wissenschaftsrates, die Wichtigkeit einer Diskussion über das Verhältnis und die Unterscheidung von institutionellen und organisationalen Leitbildern von Hochschule. Die damit einhergehenden Bestimmungen des Zwecks von akademischen Bildungsinstitutionen wie Universitäten oder Fachhochschulen seien zentral für die Ausgestaltung und Praxis von Hochschullehre, denn auch wenn die Strategien des WR explizit institutionell seien, greife dessen Gegenstand doch erheblich in Entscheidungen von Lehrenden ein. „Es kann nicht darum gehen, Anreize zu schaffen“, so Reinmann, „vielmehr müssen wir überlegen, was Bedingungen guter Lehre sind und was Hochschullehrende brauchen, um gute Lehre umzusetzen.“
Inwieweit Wettbewerb, Anreiz- und Kontrollsysteme geeignete Leistungsdimensionen zur Verbesserung der Hochschullehre bilden, wird für das Hochschulsystem wohl auch zukünftig von zentraler Bedeutung sein, da die Frage, unter welchen Bedingungen sich am ehesten Innovationen in der Lehre entfalten, eine eigene Forschungsfrage darstellt.
Die eigene hochschuldidaktische Praxis reflektieren und beforschen
Die WiHo-Redaktion zieht ein Fazit: Die Hochschuldidaktik-Community ist auf der Suche. In der diesjährigen dghd-Jahrestagung zeigte sie sich als eine Disziplin in der Entstehung, mitten im Prozess der Identitätssuche und Selbstfindung. Sie diskutierte neue Namen, wie z.B. „Hochschulbildungsforschung“ (Langemeyer/Reinmann), sie betonte das anregende Moment interdisziplinären Arbeitens, sie kritisierte politische Stoßrichtungen und brachte ungeschönt auf den Tisch, was hochschulpolitisch „schräg“ (Reinmann) läuft. Sie lebt von dem Austausch zwischen Praktiker/-innen und Forscher/-innen – wobei diese Bezeichnungen wohl ständig verschwimmen – und ist in der Lage die eigene hochschuldidaktische Praxis nicht nur zu sehen und auszuüben, sondern gleichermaßen zu reflektieren und zu beforschen.
„Haben Sie Zeit in die Workshops und Diskurswerkstätten zu gehen?“, fragte Professorin Langemeyer die WiHo-Redaktion abschließend. „Dort werden Sie lebendige Diskussionen erleben, die eine besondere Vielfalt wissenschaftlicher Perspektiven zeigen. Genau das ist und muss das Kennzeichen von Wissenschafts- und Hochschulforschung sein: eine Pluralität von Wissenschaften zu haben, denn nur dann bekommen wir wieder den Impuls zu reflektieren.“
Bildquelle: Magali Hauser, KIT
Weitere Informationen zur Tagung:
Zur Tagungshomepage gelangen Sie hier.
Die Videoaufzeichnungen der Keynotes finden Sie auf dem KIT-YouTube-Kanal.
Das Positionspapier „Strategien für die Hochschullehre“ des Wissenschaftsrates finden Sie hier (PDF, 328KB, Datei ist nicht barrierefrei).
Zum Blog von Prof. Gabi Reinmann gelangen Sie hier.