Zuspruch für Zufallselemente bei der Vergabe von Forschungsmitteln
Das wissenschaftliche Feld hat eigene Formate der Qualitätssicherung wie Peer Review ausgebildet. Dieses Verfahren steht jedoch in der Kritik, Mainstream-Forschung zu privilegieren. Als eine Alternative gilt die teil-randomisierte Auswahl von Förderanträgen, doch auf welche Vorbehalte und Einverständnisse trifft eine teil-randomisierte Auswahl von Forschungsprojekten im wissenschaftlichen Feld? Im Kurzbericht stellen die Forschenden zentrale Ergebnisse ihrer umfangreichen Befragung vor.
Im Forschungsprojekt VORAUS („Etablierte Formate der Qualitätssicherung weiterentwickeln: Auf welche Vorbehalte und Einverständnisse trifft eine teil-randomisierte Auswahl von Forschungsprojekten im wissenschaftlichen Feld?“) wurde auf der Grundlage von 50 offenen Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus verschiedenen Fachdisziplinen eine Online-Umfrage vorbereitet und durchgeführt. Für das Survey haben wir alle promovierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angeschrieben, die an niedersächsischen Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in den Fachbereichen Biologie, Chemie, Physik, Informatik, Elektrotechnik, Maschinenbau und Geschichtswissenschaft beschäftigt sind. Insgesamt nahmen an der Befragung 283 Personen teil, wobei im Untersuchungssample nur die 224 vollständig ausgefüllten Fragebögen berücksichtigt werden.
Die Ergebnisse der Umfrage zeigen deutlich, dass die Befragten es mehrheitlich ablehnen, Drittmittel unter formal korrekten Forschungsanträgen per Los zu verteilen. Der große Anteil an Ablehnungen von mehr als zwei Drittel kehrt sich jedoch ins Gegenteil um, wenn Loselemente einer wissenschaftlichen Begutachtung nachgeschaltet sind. Demnach kann sich eine große Mehrheit der Befragten vorstellen, unter einer Teilmenge der Forschungsanträge zu würfeln, wenn die wissenschaftliche Qualität der Forschungsideen durch Gutachten bzw. von einer wissenschaftlichen Jury geprüft und beurteilt wird. Die Resultate belegen somit einerseits, dass Losverfahren im wissenschaftlichen Feld mehrheitlich Zuspruch finden, wenn etablierte Mechanismen des ‚organisierten Skeptizismus‘ (Robert K. Merton) unangetastet bleiben. Andererseits verweisen sie auf die ungebrochene Geltung des Peer Review-Verfahrens zur wissenschaftlichen Selbstregulierung und -kontrolle.
Wissenschaftspolitisch geben die Forschungsergebnisse daher keinen Anlass, Losverfahren in der Forschungsförderung pauschal als Alternative zum Peer Review-Verfahren einzuführen. Das wissenschaftliche Feld hat die gegenseitige Begutachtung unter Forschenden zur Qualitätssicherung hervorgebracht und es kann davon ausgegangen werden, dass der Anspruch und die Fähigkeit zur Selbstregulierung und -kontrolle für die Mehrheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiterhin verbindlich sind. An anderer Stelle (Barlösius & Philipps 2020, im Erscheinen; Philipps 2020, im Erscheinen) zeigen die Ergebnisse aber auch, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Befragten sich Loselemente in Selektionsprozessen vorstellen können.
Literaturhinweis
Barlösius, Eva und Axel Philipps (2020). Lotto in der Wissenschaft: Feldinterne und-externe Widersprüche durch nichtwissenschaftliche Entscheidungsverfahren auflösen?. LCSS Working Papers 6, DOI: https://doi.org/10.15488/10205.
Barlösius, Eva und Axel Philipps (im Erscheinen): Verlosung von Forschungsgeldern: Welche Losverfahren können sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vorstellen?. Qualität in der Wissenschaft, Heft 3+4.
Philipps, Axel (2020). Science Rules! A Qualitative Study of Scientists’ Approaches to Grant Lottery. Research Evaluation, DOI: https://doi.org/10.1093/reseval/rvaa027.
Philipps, Axel (im Erscheinen): Lotto in der Wissenschaft. Unimagazin der Leibniz Universität Hannover, 3+4, 2021.