Resilienz und Studienerfolg von MINT-Studierenden in Zeiten von Corona
Wie wirkt sich die COVID-19 Pandemie auf die Studierenden aus? Welche Rolle spielt dabei die akademische Resilienz und wie kann sie strategisch gefördert werden? Zu dieser für den Studienerfolg – insbesondere in Krisenzeiten – wichtigen Schlüsselkompetenz veranstaltete das vom BMBF-geförderte Verbundprojekt „Resilienz und Studienerfolg in MINT-Fächern“ (ReSt@MINT) am 16. September 2021 ein Online-Symposium, bei dem zentrale Ergebnisse vorgestellt und mit den Teilnehmenden diskutiert wurden.
Ein Studium stellt – auch ohne die besonderen Belastungen während der Pandemie – generell eine große Herausforderung für viele Studierende dar, wie Befunde aus dem ReSt@MINT-Projekt zeigen. So berichten mehr als die Hälfte der Studierenden von durchschnittlich zwei besonders belastenden Rückschlagserlebnissen pro Semester. Zudem sind seit Jahren Angst- und Depressionsraten unter Studierenden, wie auch die Studienabbruchquote vergleichsweise hoch. Angesichts dieser Situation rückt die psychische Widerstandsfähigkeit als Schlüsselqualifikation in den Fokus. Denn die empirische Forschung zeigt, dass die psychische Widerstandsfähigkeit, im Hochschulkontext auch akademische Resilienz genannt, einen positiven Umgang mit Belastungen ermöglicht, eine schützende Wirkung auf die psychische Gesundheit hat und zudem die Leistungsfähigkeit der Studierenden erhält bzw. fördert.
Doch wie wirkt sich die COVID-19 Pandemie auf die Studierenden aus und welche Rolle spielt dabei die akademische Resilienz? Im Rahmen des Kooperationsprojekts sind die Projektleiter/in Prof. Dr. Yvette Hofmann (Bayerische Staatsinstitut für Hochschulforschung und -planung (IHF)) und Prof. Dr. Martin Högl (Institut für Leadership and Organisation (ILO), LMU München) diesen Fragen mit ihren Arbeitsgruppen nachgegangen. Auf Grundlage einer Online-Befragung unter MINT-Studierenden, die mit Studienbeginn im Wintersemester 2018/2019 bis zum Sommersemester 2021 insgesamt sechs Mal befragt wurden, konnte ein aktuelles Lagebild zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Erleben der Studierenden generiert werden. Aus den gewonnenen Erkenntnissen haben die Forschenden einen Orientierungsrahmen für Hochschulen zur strategischen Förderung akademischer Resilienz entwickelt.
Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf das Erleben der Studierenden aus?
Die auf dem Symposium vorgestellten Forschungsergebnisse zeigen, dass mit der Pandemie sich nicht etwa die Menge der erlebten Belastungserfahrungen von Studierenden veränderte, wohl aber die Qualität: Gaben die Studierenden im Wintersemester 2019/2020 noch das Nichtbestehen einer Prüfung als größten subjektiv wahrgenommenen Rückschlag an, befanden sie spätestens im zweiten Digitalsemester den fehlenden sozialen Anschluss als weitaus größeren Belastungsfaktor. Darüber hinaus berichtete die Mehrheit von Studierenden während Corona von höheren Flexibilitätsanforderungen und etwa die Hälfte von Unsicherheit und Frustration. Während die wahrgenommene Unsicherheit im Verlauf der Pandemie wieder tendenziell leicht abnahm, steigerte sich die Stresswahrnehmung und emotionale Erschöpfung mit jedem Pandemiesemester, wobei hier insbesondere weibliche Studierende betroffen waren.
Mit Blick auf die protektive Wirkung akademischer Resilienz weisen die Ergebnisse darauf hin, dass das Stress- und Unsicherheitsempfinden bei Studierenden mit niedriger Resilienzausprägung im Vergleich zu Studierenden mit mittlerer oder starker Resilienzausprägung deutlich erhöht ist. Und auch die höheren Flexibilitätsanforderungen konnten von Studierenden mit niedriger Resilienz weniger gut abgefedert werden.
Insgesamt weisen die Forschungsergebnisse darauf hin, dass seit Pandemiebeginn die Resilienzentwicklung bei fast einem Viertel der Studierenden eine negative Richtung genommen hat. Angesichts dieser Befundlage und der empirischen Erkenntnis, dass eine positive Resilienzentwicklung mit einer positiven Bindung an das Fach, dem psychischen Wohlbefinden und dem Studienfortschritt einhergeht, kommt dem von den Projektbeteiligten entwickelten Orientierungsrahmen für Hochschulen eine große Bedeutung zu.
Ansatzpunkte für die Stärkung der akademischen Resilienz: Ein Orientierungsrahmen für Hochschulen
Auf Basis der Befragungen der Studierendenkohorte konnten im Projekt Faktoren ausfindig gemacht werden, die sich positiv auf die Entwicklung der Resilienz über die Semester hinweg auswirken. Dabei stach besonders die Erfüllung psychologischer Grundbedürfnisse hervor (Bedürfnisse gemäß Selbstbestimmungstheorie nach Deci & Ryan, 2008). Die Erfüllung der Bedürfnisse nach Kompetenz und sozialer Verbundenheit vor Pandemiebeginn ging mit einer positiven Resilienzentwicklung während der Pandemie einher. Insbesondere war die erlebte Unterstützung durch die Familie und durch die Hochschule bedeutend.
Aufbauend auf diesen Erkenntnissen ist im Projekt ein Orientierungsrahmen zur strategischen Förderung akademischer Resilienz für Hochschulen abgeleitet worden, der im Symposium mit rund 90 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern intensiv diskutiert und positiv rezipiert wurde. Mit Verweis auf die umfangreiche Ergebnisdissemination des Kooperationsprojekts (einen Auszug aus der Publikationsliste finden Sie unten) sollen hier abschließend nur einige wenige Ansatzpunkte zur Resilienzförderung in Grundzügen skizziert werden.
Den Projektbefunden folgend lassen sich Maßnahmen zur Förderung der akademischen Resilienz in zwei Kategorien einordnen. Einerseits können Hochschulen spezifische Maßnahmen implementieren, die zur Nutzung vorhandener Resilienzressourcen anregen, indem Akteure für diese Ressourcen sensibilisiert und zur Nutzung motiviert werden. Andererseits können Hochschulen vorhandene Resilienzressourcen zielgruppenorientiert und bedarfsgerecht ausbauen. Im entwickelten Orientierungsrahmen unterscheiden die Forschenden hierbei zwischen drei Ressourcendimensionen, in denen mit gezielten Maßnahmen vorhandene Ressourcen angeregt bzw. weiter ausgebaut werden können:
- Psychische Ressourcen: In der psychischen Ressourcendimension lassen sich hochschulische Maßnahmen implementieren, die auf Denk-, Interpretations- und Verhaltensstrategien abzielen, die Studierenden dabei helfen, einen positiven Umgang mit Herausforderungen und Belastungen zu finden.
- Soziale Ressourcen: In der sozialen Ressourcendimension geht es um die Aktivierung, Einbindung und den Ausbau personeller Ressourcen. Studierende sollen hierbei von verschiedenen Akteuren im Hochschulkontext psychosoziale Unterstützung erhalten, die es ihnen ermöglicht, einen positiven Umgang mit Herausforderungen und Belastungen zu finden.
- Strukturelle Ressourcen: Die strukturelle Ressourcendimension zielt hingegen darauf ab, Einrichtungen, Angebote, Plattformen, Informationen etc. auf- und auszubauen, die Studierenden dabei helfen, einen positiven Umgang mit Herausforderungen und Belastungen zu finden.
Auch wenn die Forschenden darauf hinweisen, dass es hochschulspezifisch passende und zielgruppenadäquate Lösungen braucht, da es für Resilienz als kontextsensitives Phänomen keine „one-size-fits-all“ Lösungen gibt, erscheint die Berücksichtigung einer Vielfalt in allen drei Ressourcendimensionen vielversprechend. Dabei müsse bei den Angeboten darauf geachtet werden, dass sie zur Erfüllung der Bedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit beitragen.
Insgesamt legen die Projektergebnisse nahe, dass die gezielte Stärkung der akademischen Resilienz fester Bestandteil des Studienerfolgsmanagements der Hochschulen sein sollte. So kann es gelingen, auch in Zeiten großer (psychischer) Belastungen das Studieren zu einer fruchtbaren, stärkenden und erfolgreichen Lebensphase zu machen. Im Symposium des ReSt@MINT-Projekts wurden hier vielversprechende Ansätze aufgezeigt, die zu einer nachhaltigen Resilienzförderung an Hochschulen beitragen können. Daher sei an dieser Stelle auch auf den „Leitfaden für Hochschulen“ verwiesen, den das Verbundprojekt im November 2021 veröffentlichen wird.
Die Ergebniszusammenfassung basiert auf einem Beitrag, der in der Zeitschrift für Beratung und Studium (UniversitätsVerlagWebler) erschienen ist:
Raphael Müller-Hotop, Christopher Henich, Yvette E. Hofmann & Daniela Datzer (2021):
Akademische Resilienz als Schlüsselkompetenz in volatilen Zeiten. In: Zeitschrift für Beratung und Studium (ZBS), 4/2021, S. 107-110.