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Heterogenitätsorientierte Lehre - Gelingensbedingungen und Anforderungen

Im Projekt „HeLGA – Heterogenitätsorientierte Lehre – Gelingensbedingungen und Anforderungen“ wurde evaluiert, welche im Rahmen des Qualitätspakts Lehre geförderten Maßnahmen hilfreich sind, um die Chancen aller Studierenden auf einen erfolgreichen Studienabschluss zu erhöhen. Im Interview berichtet die Projektleiterin Prof. Elke Wild (Universität Bielefeld) von den Forschungsergebnissen und deren Bedeutung für Hochschulleitungen und Hochschulpolitik.

Worum ging es in Ihrem Forschungsprojekt HeLGA?

Das Projekt „Heterogenitätsorientierte Lehre – Gelingensbedingungen und Anforderungen“ (HeLGA) war an dem übergeordneten Ziel der Förderlinie orientiert, die im „Qualitätspakt Lehre“ entwickelten Hochschulmaßnahmen zur Verbesserung von Studium und Lehre wissenschaftlich zu begleiten . Die Konzepte vieler Hochschulen kreisten dabei um Fragen des Umgangs mit einer immer heterogeneren Studierendenschaft. Wir haben deshalb untersucht, ob die hierzu entwickelten Maßnahmen zu einer Verringerung der hohen Abbruchquoten in den MINT-Fächern und einem größeren Studienerfolg gerade auch von sogenannten „nicht-traditionellen“ Studierenden führen. Dazu haben wir an neun Hochschulen MINT-Studierende unmittelbar vor Studienbeginn, ein Jahr später und nach sechs Semestern befragt.

…damit hat es einen direkten Anwendungsbezug. Die Ergebnisse müssten doch für Hochschulleitungen und Hochschulpolitik interessant sein…

Absolut. Unsere Auswertungen zeigen, dass Vor- oder Brückenkurse einen leichten positiven Effekt auf den Studienerfolg haben. Beratungsangebote und Mentoring-Programme führen jedoch bislang leider nicht dazu, dass Studierende ihr Studium seltener abbrechen oder es mit einer höheren Wahrscheinlichkeit in Regelstudienzeit absolvieren. Aufgrund der vielen Informationen, die wir aus der Studierendenbefragung sowie den Interviews mit QPL-Mitarbeiter*innen gewonnen haben, können wir aber sehr konkrete Handlungsempfehlungen geben, wie die Wirksamkeit dieser Maßnahmen gesteigert und die Qualität der Lehre insgesamt verbessert werden kann.

Welches sind denn die zentralen Ergebnisse Ihrer Untersuchungen im Projekt HeLGA?

Wir konnten feststellen, dass Vorkurse von fast allen Studierenden besucht werden, während Beratungs- oder Mentoring-Angebote insgesamt selten und weniger von Studierenden mit geringeren Eingangsvoraussetzungen in Anspruch genommen werden, obwohl die Maßnahmen gerade diese unterstützen sollten. Dieses Problem einer inadäquaten Inanspruchnahme zeigt, dass die Angebote niederschwelliger gestaltet werden müssen, etwa indem Beratungsgespräche im Sinne von Lernentwicklungsgesprächen in das Curriculum integriert werden. So können Studierende mit anfänglichen Lernschwierigkeiten gezielt unterstützt werden, aber auch mit hoch talentierten Studierenden beispielsweise Stipendienmöglicheiten oder „fast-track“-Optionen besprochen werden. Insgesamt böte sich auf diese Weise die Chance einer frühzeitigen und gezielten Beratung von Studierenden, die ihr eigenes Potential unter- oder überschätzen.

Ein weiteres Ergebnis ist, dass die Entscheidung für einen Abbruch des Studiums zum Teil auf andere Faktoren zurückzuführen ist als die Entscheidung, das Studienfach zu wechseln. Auch hier zeigt sich die Bedeutung einer differenzierten Unterstützung und dass deutlicher zwischen verschiedenen „Risikogruppen“ unterschieden werden sollte.

Hoch bedeutsam sind schließlich auch Erkenntnisse, die wir aus den Interviews mit QPL-Beschäftigten gewonnen haben. Sie identifizieren sich sehr stark mit ihrer Aufgabe und dem Anliegen des Programms, wünschen sich zum Teil aber mehr Anleitung und fachlichen Austausch im Hinblick auf ihre Aufgaben in Studium und Lehre. Zudem beschäftigen sie unsichere Beschäftigungsperspektiven. Viele von ihnen, die parallel eine wissenschaftliche Weiterqualifizierung anstreben, berichten von intensiven Zielkonflikten und dem Gefühl, „nicht Fisch und nicht Fleisch“ zu sein. Für diese Personengruppe, die in der Forschung als „hybrid“-Beschäftigte bezeichnet werden, gilt es, passende Führungskonzepte und Betreuungsangebote zu entwickeln.

Welche konkreten Handlungsempfehlungen lassen sich daraus für die Hochschulpraxis ableiten?

In unserer Broschüre haben wir unsere Befunde dargelegt und jeweils mit direkt ableitbaren Empfehlungen versehen, die wir in vier thematische Handlungsfelder gebündelt haben.

Das erste Handlungsfeld betrifft institutionelle ‚Stellschrauben‘ zur Optimierung der Inanspruchnahme und Wirkung von curricularen und ergänzenden Lehr-Lern-Angeboten. Hier empfehlen wir unter anderem, Zusatzangebote wie die genannten Beratungs- und Mentoring-Programme noch adressat*innenspezifischer auszugestalten, ggfs. in den Studienplan einzubauen und im Rahmen der Qualitätssicherung ein Monitoring zur - möglichst individuellen - Inanspruchnahme und Wirkung dieser Angebote aufzulegen. Zudem geben wir in Anbetracht des Ergebnisses, dass die Regelmäßigkeit des Besuchs curricularer Veranstaltungen ein sehr guter Prädiktor für den Studienerfolg ist, zu bedenken, dass der Verzicht auf Anwesenheitskontrollen dem angestrebten Ziel einer Steigerung des Studienerfolgs aller Studierenden zuwiderlaufen kann.

In dem zweiten und dritten Handlungsfeld geht es um Empfehlungen, wie dem beobachtbaren Absinken mitgebrachter Studieninteressen entgegengewirkt werden kann und insgesamt eine heterogenitätssensiblere Lehre zu erreichen ist. Hier geht es zentral um den Ausbau von spezifischen Weiterbildungsangeboten für alle in Studium und Lehre Verantwortlichen, angefangen von den Studiendekan*innen bis hin zu den Tutor*innen. Darüber hinaus unterbreiten wir Vorschläge zur Etablierung von Anreizstrukturen zur nachhaltigen Stärkung der Weiterbildungsmotivation für eine diversitätssensible Lehre.

Die Handlungsempfehlungen im vierten Handlungsfeld richten sich schließlich auf die Auswahl, institutionelle Verortung, Betreuung und Professionalisierung von Mitarbeiter*innen, die primär oder ausschließlich mit lehrbezogenen Aufgaben betreut sind. Unseren Befunden zufolge wären optimierte Personalauswahlprozeduren, aktiv tätige Vorgesetze mit fachlicher Führungsverantwortung, klar definierte Aufgabenbeschreibungen und regelmäßige Personalentwicklungsgespräche zielführend.

Kann auch die Hochschulpolitik etwas aus Ihren Forschungsergebnissen lernen?

Selbstverständlich, die zuständigen Minister*innen in den Ländern haben großen Anteil daran, ob und wie die von uns und Kolleg*innen aus anderen Begleitforschungsprojekten formulierten Handlungsempfehlungen in der Hochschulpraxis aufgegriffen und umgesetzt werden. Dies betrifft nicht nur Fragen der Grundausstattung – an amerikanischen Universitäten ist beispielsweise vorgeschrieben, dass im Rahmen von Lehrevaluationen Kennzeichen einer „diversitätsgerechten“ Unterweisung erfasst werden. Auf die Etablierung solcher Standards könnte die hiesige Politik auch hinwirken, indem bestehende Instrumente zur Qualitätssicherung in diesem Sinne ausgedehnt werden.

Dank des Qualitätspakts Lehre mit seiner wissenschaftlichen Begleitung können wir auf Basis der gewonnenen Befunde nun sehr viel präziser notwendige, günstige und hemmende Bedingungen einer qualitätsvollen Lehre in Zeiten einer wachsenden Heterogenität der Studierendenschaft benennen. Diesen von vielen ‚Praktiker*innen‘ und ‚Forscher*innen‘ mit hohem Engagement gehobenen Schatz an Einsichten gilt es in den kommenden Jahren zu nutzen und so wäre die Hochschulpolitik auf Bundes- und Länderebene meines Erachtens gut beraten, den beschrittenen Entwicklungsprozess weiter zu unterstützten.  

Der Dissemination von Forschungsergebnissen wird eine immer höhere Bedeutung in der Forschungsförderung generell beigemessen. Was haben Sie bislang unternommen, um diese hochinteressanten Ergebnisse bei den unterschiedlichen Adressaten bekannt zu machen?

Natürlich haben wir unser Projekt schon in der Projektlaufzeit auf Fachkonferenzen und Veranstaltungen vorgestellt. Darüber hinaus haben wir die Ergebnisse in Form von Berichten und Informationsbroschüren zusammengefasst. Die Informationsbroschüren wurden kürzlich verbunden mit dem Angebot verschickt, die abgeleiteten Empfehlungen gemeinsam mit den ‚vor Ort‘ Zuständigen im Hinblick auf Ausgestaltung der standortspezifischen Maßnahmen durchzusprechen. Wie die Resonanz auf dieses Angebot ist, bleibt abzuwarten. Wissenschaftliche Erkenntnisse wie die unsrigen werden vor allem dann in der Praxis aufgenommen, wenn sie gemeinsam mit den auf unterschiedlichen Systemebenen Verantwortlichen durchdekliniert werden, da sich Hochschulen stark voneinander unterscheiden. Sie unterliegen länderspezifischen Vorgaben, haben im Zuge wachsender Autonomie ein eigenes Profil entwickelt, verfolgen unterschiedliche governance policies und unterscheiden sich in ihrem Einzugsbereich. Sie sind daher nicht an vermeintlichen ‚one size fits all‘-Lösungen interessiert sondern an Lösungen, die ihren spezifischen Merkmalen und Rahmenbedingungen Rechnung tragen. Aus diesem Grunde halte ich den direkten Austausch für besonders wichtig.

Wie sehen die Coachings aus, die Sie in diesem Kontext durchführen?

Das wird im Detail von den Wünschen der interessierten Hochschulleitungen abhängen. Aus meiner eigenen Zeit als Prorektorin weiß ich, dass Mitglieder einer Hochschulleitung unter extrem hohem Zeitdruck stehen. Daher stelle ich mich darauf ein, dass zunächst eine knappe Präsentation zentraler Befunde gewünscht wird. Darauf aufbauend sollte es darum gehen, die von uns festgestellten Optimierungsbedarfe und daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen in ihrer Relevanz und Umsetzbarkeit am jeweiligen Standort auszuloten. Als ehemaliges Mitglied des wissenschaftlichen Beirats eines QPL-Programms habe ich erlebt, wie fruchtbar eine konzentrierte Zusammenarbeit von ‚Praktiker*innen von innen‘ und ‚Forscher*innen von außen‘ sein kann. So würde ich mir wünschen, dass an allen interessierten Hochschulen eine Gruppe von Personen gebildet wird, die sich mindestens einen halben Tag Zeit nehmen können, um mit mir mögliche Strategien zur Verbesserung von Studium und Lehre im Hinblick auf ihre ‚standortspezifische Passgenauigkeit‘ durchzugehen.

Zum Schluss noch eine allgemeine Frage: Wie schätzen Sie aktuell den Einfluss der Hochschulforschung auf die Hochschulpraxis und -politik ein? Gibt es hier im Vergleich zu anderen Bereichen (Gesundheitsforschung, Verkehrsforschung, etc.) Besonderheiten? Was müsste sich ändern/verbessern?

Wir greifen in HeLGA unter anderem auf die Arbeiten von Bourdieu zurück, der trefflich herausgearbeitet hat, dass jedem ‚Feld‘ eine eigene Logik innewohnt. Forschung kann und sollte insofern zur Evidenzbasierung politischen Handelns beitragen, bestimmt dieses aber nicht. So lassen sich in allen Politik- und Praxisbereichen leicht Beispiele für eine ausbleibende oder anders als von Vertreter*innen der jeweiligen Zunft empfohlene Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse finden. Im Hinblick auf den Einfluss der Hochschulforschung ist allerdings zu beachten, dass es sich hierbei um ein besonders junges Feld handelt, welches sich aus Arbeiten von Wissenschaftler*innen speist, die sich in verschiedenen Bezugsdisziplinen verorten. Daher bleibt in erster Linie zu wünschen, dass das BMBF seine Bemühungen zum Ausbau der interdisziplinären Hochschulforschung wie auch zur Verbesserung der Qualität von Studium und Lehre NICHT verändert, sondern weiterhin die hohe soziale und volkswirtschaftliche Bedeutung beider Bereiche offensiv vertritt.