„Professorinnen und Professoren müssen sich um ihren Führungsstil kümmern“
Der Lehrstuhl ist die kleinste Organisationseinheit an Universitäten. Er ist die Keimzelle, aber auch die Black Box des Wissenschaftsbetriebs. In ihrem Forschungsprojekt „UnSicht“ haben Professor Uwe Wilkesmann und sein Team von der TU Dortmund untersucht, wie Lehrstühle an deutschen Hochschulen organisiert sind und welchen Einfluss das auf die Qualität von Wissenschaft hat. Besonders interessiert hat das Forschungsteam, welche Rolle der Führungsstil von Professorinnen und Professoren spielt. Das Ergebnis: eine ganz entscheidende.
Herr Professor Wilkesmann, Sie haben sich in Ihrem Projekt „UnSicht“ mit den unsichtbaren Seiten der Qualität von Wissenschaft beschäftigt. Welche sind das?
Wissenschaftliche Leistungen entstehen immer in Teamarbeit. Das ist gerade im deutschen Hochschulsystem besonders ausgeprägt. In diesem Zusammenhang spielt der Lehrstuhl als soziale Institution eine entscheidende Rolle. Jede Professorin und jeder Professor führt ein eigenes Team von Mitarbeitenden. Uns hat dabei unter anderem interessiert, welchen Einfluss der professorale Führungsstil auf die Arbeitsmotivation der Mitarbeitenden an einem Lehrstuhl hat. Zudem haben wir die Art der Konfliktlösungen an den untersuchten Lehrstühlen in den Blick genommen.
Warum ist es wichtig, diese Aspekte zu untersuchen?
In der Hochschulforschung ist die Teamebene von wissenschaftlicher Arbeit bisher noch nie betrachtet worden. Es wurde immer entweder die Ebene der Hochschule oder die Ebene des einzelnen Mitarbeitenden untersucht. Zudem besteht ein Dauerkonflikt an deutschen Hochschulen: Die Mitarbeitenden beklagen sich oftmals, dass ihr Arbeit zu wenig sichtbar wird. Der Output, etwa bei der Autoren-Nennung von Publikationen, spiegelt nicht immer den eigentlichen Arbeitsanteil des jeweiligen Wissenschaftlers wider. Das Gleiche gilt für die Einwerbung von Drittmitteln. Da wird in der Regel nur die Professorin oder der Professor genannt.
Was sind Ihre zentralen Erkenntnisse?
Selbst- und Fremdwahrnehmung stimmen selten überein. Die Professorinnen und Professoren schätzen ihren Führungsstil in der Regel deutlich besser ein als dies die Mitarbeitenden tun. Wir haben zudem herausgefunden, dass der Führungsstil auf die Arbeitszufriedenheit einen erheblichen Einfluss hat, vor allem bei Promovierenden. Wenn die Professorinnen und Professoren Visionen aufzeigen und Gruppenziele definieren, wenn sie individuelle Unterstützung geben, hat das eine sehr positive Wirkung. Dann werden die drei grundlegenden Bedürfnisse der Mitarbeitenden erfüllt: das Bedürfnis nach Autonomie, Kompetenz und das Gefühl der sozialen Eingebundenheit. Und wir haben natürlich auch den gegenteiligen Effekt beobachtet. Der so genannte Laissez-Faire-Stil hat einen starken negativen Effekt auf die Arbeitsmotivation.
Sie haben Lehrstühle unterschiedliche Fachdisziplinen untersucht? Haben Sie Unterschiede feststellen können?
Die Unterschiede bestehen im Wesentlichen in der Größe und weniger im Führungsstil. Im Maschinenbau gibt es Lehrstühle mit 25 oder mehr Mitarbeitenden. Die funktionieren schon wie kleine Unternehmen. Da kann der Professor gar nicht mehr in ständige Interaktion mit jedem Einzelnen treten. Da wurden dann auch weitere Hierarchieebenen wie Oberassistenten oder Arbeitsgruppenleiter etabliert. Nach den Daten aus unser Befragung arbeiten in der Biologie im Durchschnitt elf Mitarbeitende an einem Lehrstuhl. Auch da bekommen die Professorinnen und Professoren in der Regel nicht mehr mit, was wirklich im Labor passiert. BWL-Lehrstühle haben dann im Schnitt acht und die Soziologie sechs Mitarbeitende.
Wie sieht der perfekte Lehrstuhl aus? Was sind Ihre zentralen Handlungsempfehlungen?
Den perfekten Lehrstuhl wird es natürlich nie geben. Es ist jedoch wichtig zu bedenken, dass es eine ganze Reihe von Tätigkeiten gibt, die zur unsichtbaren Seite der Wissenschaft zählen, viele Arbeiten, die im Verborgenen bleiben. Umso entscheidender ist es, dass Professorinnen und Professoren sich darüber im Klaren sind, dass sie selbst die Verantwortung dafür tragen, wie motiviert und leistungsfähig die eigenen Mitarbeitenden sind. Professoren müssen sich um ihren Führungsstil kümmern. Dazu gehört auch, dass sie Konflikte innerhalb des Teams selbst lösen und nicht den Mitarbeitenden überlassen. Ein guter Führungsstil zeichnet sich dadurch aus, dass man seinem Team zwar eine gewisse Autonomie gewährt, zugleich aber auch Gruppenziele vorgibt und die Kompetenzen der einzelnen Mitarbeitenden wertschätzt und stärkt. Nur wenn das Team funktioniert, funktioniert auch die Wissenschaft.
Was empfehlen Sie für das Hochschulsystem als Ganzes?
Dass man für neue Professorinnen und Professoren Führungskräftetrainings etabliert, damit auch auf diesem Gebiet eine Professionalisierung stattfindet. Wir haben im Rahmen unserer Studie ein Führungskräftetraining angeboten. Daraus ist eine kollegiale Fallberatung von Professorinnen und Professoren in NRW entstanden, an der ich als Lehrstuhlinhaber ebenfalls teilnehme. Auch meine eigenen Mitarbeitenden treten jetzt stärker in den Dialog, wenn es zum Beispiel um Autoren-Nennungen geht.