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Nachgefragt – Neues aus den Projekten

Nachgefragt – Neues aus den Projekten

In der Rubrik ›Nachgefragt – Neues aus den Projekten‹ geben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Projekten der Förderlinien Einblick in ihre Forschung. Ob Ergebnisbericht, Projektvideo oder Interview für On- und Offline-Medien – die Formen, mit denen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Neues aus ihren Projekten berichten, sind vielfältig.

Wer dann noch mehr über die Projekte selbst oder die Ergebnisse aus den Projekten erfahren möchte, wird auch hier fündig –  Links zu den Projektseiten, ausführliche Ergebnisberichte im Rahmen von Projektevaluierungen oder Literaturangaben zu Forschungspublikationen laden zum Weiterlesen ein.

Die facettenreichen Einblicke in die Forschungsprojekte der Förderlinien werden sukzessive ergänzt. – Also: Vorbeischauen lohnt sich!

„Hochschulen sind kein diskriminierungsfreier Raum“

Studentin mit Kopftuch wird von zwei Männern diskriminiert
© Viacheslav Yakobchuk - stock.adobe.com

Rund ein Viertel der Studierenden an deutschen Hochschulen hat nach eigenen Angaben bereits Diskriminierung erlebt. Doch welche Gruppen sind davon am meisten betroffen? Wie äußert sich Diskriminierung im Unialltag? Und was können die Hochschulen dagegen tun? Diesen und weiteren Fragen zum Thema wollen Forschende der Universität Konstanz näher auf den Grund gehen.

In Ihrem Projekt DiHo untersuchen Sie die Diskriminierung von Studierenden an deutschen Hochschulen. Wer ist davon betroffen?

Professorin Dr. Susanne Strauß: Genau das möchten wir im Projekt DiHo herausfinden. Es gibt bisher einzelne Befunde, dass Diskriminierung an Hochschulen stattfindet, zum Beispiel von Frauen in männerdominierten Studienfächern. Allerdings gibt es bislang keine Studie, die das systematischer für verschiedene Gruppen untersucht. Wir wollen uns anschauen, wo Diskriminierung nach Geschlecht, nach Ethnizität und nach sozialer Herkunft passiert. Das sind die drei Hauptgruppen, die wir untersuchen. Aber wir berücksichtigen auch weitere Faktoren, wie zum Beispiel die sexuelle Identität oder die Interaktion zwischen sozialer Herkunft und Migrationshintergrund. 

Sie beschäftigen sich schon länger mit dem Thema, vor allem im Hinblick auf die Diskriminierung von Frauen. Können Sie kurz skizzieren, was Sie dazu bisher herausgefunden haben?  

Strauß: Frauen sind im Bildungsbereich eigentlich ganz gut angekommen in den vergangenen Jahren. Es gab eine Bildungsexpansion, von der die Frauen noch stärker profitiert haben als die Männer. Sie studieren heute genauso häufig wie Männer. Allerdings gibt es, was wir in der Soziologie eine horizontale Segregation nennen. Das heißt, Männer wählen andere Studienfächer als Frauen. Und verschiedene Studien belegen, dass Frauen gerade in männerdominierten Studienfächern wie den Ingenieurswissenschaften einen schwierigeren Stand haben. Manche Forschende sprechen vom so genannten „Chilly Climate“, also einem sozialen Klima mit Diskriminierungspotenzial. 

Die Abiturquote bei Frauen ist inzwischen sogar höher und Mädchen erzielen in der Schule bessere Noten. Sie haben aber festgestellt, dass sich dieses Verhältnis in der Universität gerade in männerdominierten Fächern zugunsten der Männer umdreht?  

Strauß: Ja, genau, ein interessanter Befund. Und die Frage ist, wie hängt das mit Diskriminierung zusammen? Wir haben uns zwei Faktoren angeschaut, zum einen die Wahrnehmung von Diskriminierung von Frauen und zum anderen den Leistungsdruck in den verschiedenen Studienfächern. Und wir haben festgestellt, dass schlechtere Leistungen damit zusammenhängen, dass Frauen in männerdominierten Fächern eine stärkere Diskriminierung wahrnehmen. Wir können keine Kausalität herstellen, aber wir sehen diesen Zusammenhang und da wäre es natürlich interessant, weiter zu forschen. 

Ihr neues Forschungsprojekt erweitert nun den Fokus auf drei Gruppen. Können Sie schon vorweg erläutern, welche Erkenntnisse Sie bisher gesammelt haben, wie sich Diskriminierung im Unialltag äußern kann? 

Dr. Frank Multrus: Wenn wir Studierende fragen, ob sie sich diskriminiert fühlen, ist das natürlich immer eine subjektive Wahrnehmung. Wir haben in der „Studierendenbefragung in Deutschland“ ein Fragemodul eingefügt, in dem wir den Studierenden verschiedene Situationen vorgelegt und gefragt haben, wie sie diese erlebt haben. Das sind Situationen, die wir potentiell als Diskriminierung verstehen würden. Das reicht von „meine Leistung wurde nicht so anerkannt“ bis hin zu körperlichen Attacken. Das heißt, es gibt eine große Spannbreite von Erfahrungen. Und das ist insofern wichtig, als in vielen Studien einfach gefragt wird, fühlen sie sich diskriminiert aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Geschlechts. Aber wir wissen relativ wenig darüber, was die Befragten eigentlich darunter verstehen und was dahintersteckt, wenn sich Studierende diskriminiert fühlen. Auch das ist ein Punkt, den wir uns in unserem neuen Projekt noch genauer anschauen möchten. 

Wie verbreitet ist das Phänomen? Gehören Diskriminierungen zum Alltag an deutschen Hochschulen?  

Multrus: Wir können auf jeden Fall feststellen, dass die Hochschulen kein diskriminierungsfreier Raum sind. In bisherigen Studien gibt rund ein Viertel der Studierenden an, bereits diskriminiert worden zu sein. Und fast die Hälfte der Befragten hat Diskriminierung bei anderen beobachtet. Aber es ist zum Glück ein sehr kleiner Teil von Studierenden, die sagen, dass sie sexuell oder körperlich angegriffen worden seien. Ein relativ großer Anteil der Befragten berichtet jedoch, dass sie schon das Gefühl hatten, ihre Leistung werde nicht wertgeschätzt. Die Hauptfaktoren sind dabei Migrationshintergrund, soziale Herkunft und Geschlecht. 

Strauß: Wir haben in unserer Befragung auch unterschieden zwischen denjenigen, die selbst Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht haben, und denjenigen, die diese Situationen bei anderen beobachten. Das ist insofern wichtig, als Diskriminierungserfahrungen oftmals schambesetzt sind, sodass sich die Betroffenen dazu teilweise nicht äußern wollen. Aber es fällt immer leichter, davon zu berichten, wenn es anderen passiert ist. Zudem erfüllt nicht jeder Studienteilnehmende die Kriterien der Gruppen, die möglicherweise diskriminiert werden. Und deswegen ist es so wichtig, eben nicht nur nach der eigenen Diskriminierung zu fragen, um einen breiteren Eindruck zu gewinnen. 

Diskriminierung ist also ein weit verbreitetes Problem. Was raten Sie den Hochschulen, wie man dem entgegenwirken könnte? 

Strauß: Das Wichtigste ist zunächst, dass man sich dessen bewusst wird. Einen diskriminierungsfreien Raum werden wir wahrscheinlich nicht herstellen können. Aber das Ziel ist, sich in diese Richtung zu bewegen. In unserem Projekt nehmen wir daher auch den Hochschulkontext in den Blick. Uns interessieren mehrere Aspekte: Findet etwa in männerdominierten Studienfächer mehr Diskriminierung statt? Wie wirkt sich ein hoher Frauenanteil unter den Lehrenden aus? Wird mehr Diskriminierung in Studienfächern erlebt, in denen der Leistungsdruck besonders hoch ist? Wir wollen Faktoren identifizieren, die dazu beitragen, dass Studierende über weniger Diskriminierung berichten und daraus Handlungsempfehlungen für die Hochschulen ableiten. Etwa in welchem Bereich es sich lohnen würde, Beratungsstellen einzurichten oder die Lehrenden stärker zu sensibilisieren. 

Multrus: Aus der bisherigen Forschung wissen wir beispielsweise, dass die Hochschule ein Raum ist, in dem bestimmte sprachliche und kulturelle Konventionen gelten. Da haben es Kinder, deren Eltern nicht selber studiert haben, deutlich schwerer und stoßen immer wieder an Grenzen. Auch hier sollten die Lehrenden dafür sensibilisiert werden, dass das ein Problem ist, das stärker adressiert werden müsste, um Diskriminierung zu vermeiden. 

Inwiefern wirken sich Diskriminierungserfahrungen auf den Studienerfolg der Betroffenen aus?  

Strauß: Auch das möchten wir uns noch genauer anschauen. Wir gehen davon aus, dass der Studienerfolg durch Diskriminierungserfahrungen deutlich beeinträchtigt wird. Dass die Betroffenen etwa häufiger ihr Studium abbrechen. Zudem liegt die Vermutung nahe, dass die wahrgenommene Diskriminierung zu mehr gesundheitlichen, insbesondere psychischen Problemen führen kann. Auch darüber können wir Ihnen am Ende des Projekts mehr sagen.