Interview Graduiertenkolleg „Wissenschaftsmanagement und Wissenschaftskommunikation als forschungsbasierte Praxen der Wissenschaftssystementwicklung“
Im Rahmen des Förderschwerpunkts Wissenschafts- und Hochschulforschung fördert das BMBF das Graduiertenkolleg „Wissenschaftsmanagement und Wissenschaftskommunikation als forschungsbasierte Praxen der Wissenschaftssystementwicklung“. Im Interview berichten die Sprecher Prof. Dr. Philipp Pohlenz (Universität Magdeburg), Prof. Dr. Michael Hölscher (Universität Speyer) und Prof. Dr. Peer Pasternack (HoF) von der Idee und der Zielsetzung des neuen, ortsverteilten Graduiertenkollegs.
Im Rahmen des Graduiertenkollegs mit Standorten an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer und dem Institut für Hochschulforschung an der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg werden Stellen für drei Postdocs und 10 Doktorandinnen und Doktoranden geschaffen. Die Stellen der Doktorandinnen und Doktoranden sind zum 1. Januar 2020 zu besetzen und haben eine Laufzeit von drei Jahren. Das Graduiertenkolleg wird vom BMBF in den Jahren 2019 bis 2023 mit insgesamt 3,4 Mio. Euro gefördert.
Herr Pohlenz, Sie sind Sprecher des Graduiertenkollegs „Wissenschaftsmanagement und Wissenschaftskommunikation als forschungsbasierte Praxen der Wissenschaftssystementwicklung“. Was genau verbirgt sich hinter diesem Titel?
Philipp Pohlenz: Das Graduiertenkolleg wird sogar von einem Sprechertrio durchgeführt, bestehend aus Michael Hölscher, Peer Pasternack und mir. Die Uni Magdeburg – und damit ich – haben die Rolle der Sprecheruniversität, im Sinne eines organisatorisch verantwortlichen Ansprechpartners, übernommen.
Aber im Vordergrund stehen natürlich die Inhalte, nach denen Sie gefragt haben. Ausgangspunkt für die Überlegungen zum Graduiertenkolleg waren gesellschaftliche Transformationsdynamiken, die auch die Wissenschaft – oder präziser – die Entwicklung des Wissenschaftssystems berühren. Insbesondere geht es dabei um die Frage, wie die Wissenschaft intern auf sich verändernde gesellschaftliche Anforderungen reagiert. Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsmanagement scheinen uns hierfür zwei hervorragende Untersuchungsfelder: Wissenschaftliche Verfahren der Wissensproduktion – so wie wir sie kennen: eher disziplinär organisiert, hinsichtlich ihrer Ergebnisse eher innerwissenschaftlich orientiert – stehen unter steigendem Legitimationsdruck. Die Gesellschaft fordert zunehmend Mitspracherechte, bspw. zur Nutzung wissenschaftlichen Wissens für die Lösung gesellschaftlich relevanter Probleme oder zur Frage, was überhaupt Gegenstand wissenschaftlicher Forschung sein soll. Um Legitimation für die Arten der Wissensarbeit zu schaffen oder zu erhalten, muss Wissenschaft sich mit diesen veränderten Anforderungen auseinandersetzen und sie bearbeiten. Dafür braucht sie möglicherweise andere Instrumente des Wissenschaftsmanagements und der Wissenschaftskommunikation. Mit diesen Entwicklungsbedarfen beschäftigt sich das Graduiertenkolleg.
Welche Themenfelder sollen im Rahmen des Graduiertenkollegs untersucht werden?
Wir sind gerade dabei die Promovierenden und Habilitierenden zu rekrutieren. Die Bewerberinnen und Bewerber sollen sich mit ihren eigenen Ideen und Projekten einbringen. Um die Ideenfindung etwas zu unterstützen und den Kandidatinnen und Kandidaten Orientierung zu geben, haben wir sogenannte „Themenkorridore“ definiert, innerhalb derer man Projektideen entwickeln oder vorantreiben kann. Diese Korridore sollen Themen adressieren, wie etwa die „Konfliktgovernance in der Wissenschaft“ oder den „digitalisierungsgetriebenen Organisationswandel“. Zudem wollen wir explizit Themen zu einzelnen Leistungsbereichen der Wissenschaft aufgreifen, wie etwa die „akademische Lehre als Kommunikation über Wissenschaft“ oder „wissenschaftliche Beratung als Wissenschaftskommunikation“. Schließlich geht es uns auch noch um Themenbereiche, die das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Wissenschaft unmittelbar betreffen und die sich dann in Fragen nach „Globalisierung und Internationalisierung“ sowie einer „digital entgrenzten Wissenschaftskommunikation“ beschreiben lassen.
Was ist das Besondere an Ihrem Graduiertenkolleg?
Michael Hölscher: Zunächst einmal ist das begleitende Studienprogramm zu nennen. Wir wollen die Promovierenden in ihrem Forschungsprozess durch Module zu Methodenkompetenzen sowie zur Theoriearbeit unterstützen. Das Spannende ist hier, dass sich die Promovierenden sowohl theoretisch-forschend als auch in ihrer eigenen Praxis mit den Themen Wissenschaftsmanagement und -kommunikation auseinandersetzen werden. Dafür haben wir ein qualifizierendes Begleitprogramm entwickelt und ein Team von Kolleginnen und Kollegen – sowohl aus der Wissenschaft, wie auch aus der beruflichen Praxis des Wissenschaftsmanagements – gewonnen. Diese werden als Lehrbeauftragte an das Kolleg gebunden.
Peer Pasternack: Darüber hinaus ist die thematische Breite zu nennen. Die Themenkorridore verdeutlichen ja bereits die Offenheit für verschiedene Themen. Sie zeigen zugleich auch, dass es viele Felder im Bereich der Entwicklung des Wissenschaftssystems gibt, zu denen es Forschungsbedarf gibt. Die thematische Breite darf natürlich nicht zu Beliebigkeit führen. Dafür tragen wir aber durch die enge Zusammenarbeit der Kollegiatinnen und Kollegiaten – nicht zuletzt durch das eben erwähnte Begleitprogramm – bei.
Philipp Pohlenz: Eine weitere wichtige Besonderheit im Vergleich zu anderen Projekten dieser Art ist die ortsverteilte Struktur. Die Promovierenden werden an drei Standorten, nämlich in Magdeburg, Halle-Wittenberg und Speyer angesiedelt sein. Das führt zu Aufwänden, was die Kommunikation untereinander angeht, es wird aber auch Früchte tragen, nicht zuletzt dadurch, dass wiederum ein breites Spektrum an Perspektiven und Ansätzen der beteiligten Kolleginnen und Kollegen genutzt werden kann.
Die Stellen der Doktorandinnen und Doktoranden sind zum 1. Januar 2020 zu besetzen. Was können die erfolgreichen Bewerberinnen und Bewerber von dem Graduiertenkolleg erwarten?
Michael Hölscher: Wir werden in der Lage sein, ein gut durchdachtes Studienprogramm anzubieten. Dieses wird die teilnehmenden Kollegiatinnen und Kollegiaten in der Bearbeitung ihrer Projekte unterstützen und sie zugleich nicht überlasten. Wir wollen nicht, dass um den Preis eines ausgefeilten Studienprogramms am Ende die Zeit zum Promovieren fehlt. Gleichzeitig halten wir es für wichtig, dass die Promovierenden und Habilitierenden in einen kontinuierlichen Austausch über ihre Projekte kommen. Das erreichen wir durch das begleitende Studienprogramm.
Zudem können wir ein breit aufgestelltes Forschungsumfeld der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bieten. Dieses ist für die Kollegiatinnen und Kollegiaten hoffentlich eine wichtige Inspirationsquelle.
Wer kann sich bei Ihnen bewerben? Welchen Hintergrund bzw. welche Vorkenntnisse sollten die Bewerberinnen und Bewerber mitbringen?
Peer Pasternack: Die Hochschul- und Wissenschaftsforschung hat ihre Bezugsdisziplinen typischerweise in den Sozialwissenschaften. Wir drei sind unsererseits ja auch Sozialwissenschaftler. Das soll aber nicht heißen, dass sich interessierte Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus anderen fachlichen Kulturen nicht willkommen fühlen sollen. Die gesellschaftlichen Erwartungen, die wir oben als Ausgangspunkt für unsere Überlegungen geschildert haben, führen ja auch zu Anpassungsbedarfen in allen Fächergruppen.
Zudem wollen wir explizit berufserfahrene Praktikerinnen und Praktiker aus dem Wissenschaftsmanagement ansprechen, die daran interessiert sind, ihre Praxiserfahrungen zu theoretisieren. Auf diese Weise trägt das Projekt zur Qualifizierung und Professionalisierung des Wissenschaftsmanagements bei.
Das Wissenschaftsmanagement ist ein Bereich, der in den letzten Jahren erheblichen Veränderungen unterlag und immer weiter an Bedeutung gewonnen hat. Wie bewerten Sie diese Entwicklung und wo sehen Sie Entwicklungspotential?
Peer Pasternack: Das ist im Zusammenhang mit der Ausdehnung des Wissenschaftssystems zu verstehen. In dem Maße, wie wissenschaftliche Arbeitsweisen und Prozesse der Wissensproduktion auf immer weitere Gebiete angewendet werden und diese „verwissenschaftlichen“, wächst das System und zieht erhöhten Bedarf an Governance und Organisation nach sich. Das führt zu viel Skepsis in der Wissenschaft selber. Diese speist sich aus dem Gefühl, Autonomie über das eigene Handeln und Entscheiden zu verlieren. Gleichzeitig sind eine Hochschule oder andere Institutionen der Wissenschaft, die nicht systematische Prozesse des Managements einsetzten, heute kaum noch vorstellbar. Es geht darum, Wege zu finden, wie Managerinnen und Manager die besonderen Kontexte der Wissenschaft berücksichtigen können, wenn sie versuchen, Institutionen, die sich durch eine hohe Freiheit und einen hohen Freiheitsdrang ihrer Mitglieder auszeichnen, zu steuern. Gerade hier will ja das Kolleg einen Beitrag leisten: Wie gelingt es, Erfahrungen aus der Managementpraxis mit theoretischem Wissen über das, was Hochschulen ausmacht, zu verbinden und die Gräben zwischen Management und „autonomieliebender Wissenschaftskultur“ zu überwinden.
Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftstransfer spielen unter der Ministerin Anja Karliczek im BMBF eine neue und herausgehobene Rolle. Gibt es im Hinblick auf die Verbreitung von Forschungsergebnissen Unterschiede zwischen den verschiedenen wissenschaftlichen Fachgebieten (z.B. Natur- und Ingenieurswissenschaften, Geisteswissenschaften, Sozialwissenschaften)?
Michael Hölscher: Sicherlich gibt es hier große Unterschiede zwischen den Disziplinen. Mindestens ebenso wichtig ist in diesem Zusammenhang aber aktuell, dass die Wissenschaft insgesamt gefordert ist, Antworten auf die großen gesellschaftlichen Fragen zu finden. Diese werden immer komplexer, denken Sie nur an den Klimawandel und den Bedarf gesellschaftliche Anpassungsstrategien zu entwickeln. Damit können wissenschaftliche Disziplinen nicht mehr jeweils alleine umgehen, es bedarf vielmehr einer gelingenden Kommunikation innerhalb der Wissenschaft, also Interdisziplinarität. Und nach außen gerichtet, in der Kommunikation mit der Gesellschaft, gilt eigentlich das Gleiche: Wie kann die Wissenschaft insgesamt so mit der Gesellschaft kommunizieren, dass letztere optimal von der Wissenschaft profitiert, also Transdisziplinarität?
Welche Besonderheiten bestehen beim Transfer von Forschungsergebnissen in der Wissenschafts- und Hochschulforschung, also beispielsweise wenn es um die Verbreitung von Ergebnissen zum Studienabbruch oder zur qualitätsgesicherten Organisation der Hochschullehre geht?
Philipp Pohlenz: Unkomfortable Ergebnisse werden ja nie so gerne aufgenommen. Ein Beispiel: Wenn man in einem Ranking auf den oberen Plätzen landet, wird das auf der Homepage veröffentlicht. Wenn man im gleichen Ranking auf den unteren Plätzen landet, wird die Methode des Rankings in Zweifel gezogen… Es geht letztlich um Veränderungsmanagement, also die Frage nach der Bereitschaft, sich auf die Umsetzung von diagnostizierten Veränderungsbedarfen einzulassen und dabei so vorzugehen, dass keine Gerechtigkeitslücken entstehen, usw. Da bilden Hochschulen keine Ausnahme.
Wie möchten Sie im Rahmen des Graduiertenkollegs die Themen Wissenschaftskommunikation und -transfer umsetzen? Wie können Interessierte aus Hochschulpolitik und -praxis von den erzielten Erkenntnissen erfahren?
Philipp Pohlenz: Dieses Interview ist ja schon der erste Schritt in diese Richtung. Wir werden natürlich kontinuierlich über den Fortgang des Projekts berichten. Im Frühjahr 2020 werden wir mit einer öffentlichen Tagung das Kolleg formell eröffnen. Hinzu kommen eine Website und die Nutzung von neuen sozialen Medien.
Michael Hölscher: Wir werden auch durch das begleitende Studienprogramm Austauschbeziehungen mit der Praxis herstellen. Zum einen sind an dessen Durchführung auch Praktikerinnen und Praktiker des Wissenschaftsmanagements als Lehrende beteiligt. Zum anderen sind die Promovierenden und Habilitierenden ja – zumindest teilweise – Praktikerinnen und Praktiker des Hochschulmanagements, die wie gesagt, ihre Praxiserfahrungen theoretisieren wollen. Insofern hoffen wir auf eine direkte gegenseitige Befruchtung von Praxis und Forschung.
Was ist Ihre persönliche Erwartung/ ihr persönlicher Wunsch an das Graduiertenkolleg?
Philipp Pohlenz: Wir wollen Promovierenden und Habilitierenden ein inspirierendes Forschungsumfeld bieten und sie bei ihren Projekten effektiv unterstützen.
Peer Pasternack: Wir wollen auch dazu beitragen, dass die Hochschul- und Wissenschaftsforschung in Deutschland weiter ausgebaut wird und Befundlagen zu den interessierenden Themen stabilisiert werden.
Michael Hölscher: Für mich ist wichtig, dass die Verknüpfungen zwischen Theorie und Praxis des Wissenschaftsmanagements und der Wissenschaftskommunikation weiter gestärkt werden. Dies trägt zu einer Professionalisierung in der wissenschaftsadäquaten Steuerung von Wissenschaftseinrichtungen bei.